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Der ungeladene Gast

Der ungeladene Gast

Titel: Der ungeladene Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jones
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Grüppchen trottete in die heillos chaotische Küche, füllte Teller mit was immer noch an Essbarem zu finden war und trug sie ins Speisezimmer. Dort setzten sie sich mit ihren zusammengewürfelten Fleisch- und sonstigen Resten an den Tisch.
    Emerald entdeckte das Katzenerbrochene neben ihrem Teller und ließ eine Serviette darüber fallen.
    Aus den Augen, aus dem Sinn, dachte sie, ergriff das Glas, das ihr am nächsten stand (es hatte John gehört, aber jetzt saßen alle kreuz und quer durcheinander), und leerte den ganzen verbliebenen Sherry darin auf einen Zug. Sofort fühlte sie sich gestärkt.
    »Wo ist dieser Mann?«, fragte sie und sah sich nach dem zusätzlichen Gast um, aber niemand wusste, wo er geblieben war.
    Ohne Traversham-Beechers, die Tür des Speisezimmers fest geschlossen, schwelgte die kleine Gruppe einen kurzen, aufregenden Augenblick lang in einem Gefühl des Triumphs und der Erleichterung, immer noch in Hochstimmung nach ihrem abenteuerlichen Ausflug in die Welt der Dienstbarkeit. Clovis und Emerald tauschten einen verständnisinnigen Blick. Sie hatten die ständig größer werdende Meute erfolgreich abgefüttert. Ihre Mutter war abwesend, hatte sich hochfahrend und verantwortungslos in ihrem Zimmer versteckt, aber sie, die Jungen, waren immer noch zu Emeralds Geburtstag im Speisezimmer versammelt.
    »Es ist noch gar nicht so spät«, sagte Emerald. »Vielleicht haben wir tatsächlich noch Zeit für ein Spiel, wie du vorhin gesagt hast, Patience.«
    Es wurde gelacht.
    »Greift erst einmal zu«, rief Clovis und machte sich mit Genuss über seinen Teller mit den kläglichen Resten her.
    Florence, durch die Ungewöhnlichkeit des Abends in einer Position irgendwo zwischen Familienmitglied und Bediensteter gestrandet, stand unsicher zaudernd an der Anrichte und wusste nicht, ob sie sich setzen oder die Getränke servieren sollte. Emerald kämpfte mit einem harten Stück Pastetenkruste, das normalerweise am Rand der Schüssel zurückgelassen worden wäre, jetzt jedoch, mit reichlich Senf bestrichen, ein Genuss war.
    »Florence – Mrs Trieves«, sagte sie, als sie wieder sprechen konnte. »Setzen Sie sich doch. Ich denke, die Umstände erlauben eine gewisse Flexibilität, finden Sie nicht auch?«
    Nach einem kurzen Augenblick des Zögerns glitt Florence auf den Stuhl zwischen John und Patience, hielt die Hände aber im Schoß gefaltet. John, der für seine gehobene Stellung in der Welt hart gekämpft hatte, empfand es als Zumutung, neben einer Hauswirtschafterin sitzen zu müssen, und errötete vor Verlegenheit. Aber er überspielte sein Unbehagen, bewahrte Haltung und nahm den Teller entgegen, den Emerald ihm für Florence reichte.
    »Mrs Trieves«, sagte er mit gerunzelter Stirn. »Etwas Brot? Oder Soße? Einen Augenblick.« Und er versorgte sie mit beidem.
    Ihr war die Situation noch peinlicher als ihm. Den Blick auf ihren Teller gesenkt, sagte sie: »Vielen Dank, Mr Buchanan«, das spitze Gesicht hochrot vor Verlegenheit.
    Als er sie ansah, wie sie sozusagen von Gleich zu Gleich neben ihm saß, wurde er weicher. Sie wirkte so verlegen und durcheinander. Fast gegen seinen Willen fiel ihm auf, dass ihr Hals, so wie sie den Kopf gesenkt hielt, umspielt von ein paar Haarsträhnen, die sich aus dem straffen Knoten gelöst hatten, den sie immer trug, im Lampenlicht bemerkenswert – was wäre der treffende Ausdruck? – fraulich aussah. Ja, bemerkenswert fraulich. Hübsch sogar. Er riss sich auf der Stelle zusammen, räusperte sich und griff nach einem Glas. Die weiblichen Attribute einer Hauswirtschafterin in mittleren Jahren wahrzunehmen gehörte zu der Art von Denkweise, mit der er sich nicht mehr beschäftigt hatte, seit er mit dreizehn und vierzehn seine körperliche Männlichkeit entdeckt und im ersten errötenden Fieber der Erkenntnis fast zwanghaft auf die anziehenden Formen jedes weiblichen Wesens reagiert hatte, das ihm über den Weg lief, angefangen bei Ladenverkäuferinnen über hagere alte Tanten und Skulpturen bis, beunruhigenderweise, hin zu nicht menschlichen Wesen und sogar Dingen: die hin und her schwenkenden, daunigen Hinterteile von Enten, die bestrickenden Kurven von Treppengeländern. Mrs Trieves war natürlich kein Treppengeländer, aber, wies er sich selbst streng zurecht, sie kam ebenso wenig in Betracht wie ein solches. Und er wandte sowohl seine Gedanken als auch seinen Oberkörper abrupt von ihr ab. Schuld mussten der Wein und die bizarren Umstände sein. Sie war schließlich

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