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Der ungeladene Gast

Der ungeladene Gast

Titel: Der ungeladene Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jones
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sich auf dem Absatz um, hielt der widerstrebenden Smudge die Hand hin, verließ mit ihr zusammen das Zimmer und schloss die Tür.
    »Mach dir nichts draus, sie wäre uns sowieso nur im Weg gewesen«, flüsterte Clovis seiner Schwester aufgekratzt zu.
    Ihre Aufmerksamkeit wurde durch das anzügliche, rhythmische, saugende Geräusch abgelenkt, mit dem Traversham-Beechers seine Zigarre an einer Kerze anzündete. Gefangen zwischen dem Schock über dieses anstößige Verhalten und einer gewissen anarchischen Bewunderung, starrten die fünf jungen Leute ihn einen Augenblick lang fassungslos an. Dann wandte sich Ernest höflich an Florence: »Zeigen Sie uns bitte den Weg.« Und sie begaben sich in die Küche und überließen den Mann inmitten eines Ozeans schmutziger Teller seinen Vergnügungen.
    Schon im Korridor wurde Myrtle mit dem Auftrag losgeschickt, die Passagiere auf die beiden Räume zu verteilen und Sitzgelegenheiten für sie herbeizuschaffen, während sich die Gäste, angeführt von einer unglücklichen Florence, zur Küche begaben. Sie kamen am Frühstückszimmer vorbei, bogen um eine Ecke und gelangten an die mit grünem Stoff bezogene Tür zum Wirtschaftsbereich.
    »Vielleicht haben wir hinterher ja doch noch Zeit für ein Spiel – und für deinen Kuchen, falls es einen gibt«, sagte Patience im Gehen aufmunternd zu Emerald.
    Die Mitglieder des Haushalts hatten aufgehört, sich über die unaufhörlich wachsende Zahl der Überlebenden zu wundern, und waren zu dem Schluss gelangt, dass an diesem verworrenen Abend niemand von ihnen erwarten konnte, den Überblick zu behalten.
    »Sie vermehren sich wie die Fliegen«, schimpfte Myrtle leise vor sich hin, während sie die zusätzlichen Stühle, die sie angeschleppt hatte, auf den Boden knallte und der ganzen undankbaren Bande einen wütenden Blick zuwarf. Sie verfrachtete die Hälfte von ihnen ins Frühstückszimmer und wies die andere Hälfte streng an, im Studierzimmer zu bleiben.
    Sie rissen ihr die Stühle mit kraftvollen Fingern aus den Händen, setzten sich irgendwohin, wo Platz war, und beobachteten Myrtle in atemloser Erwartung ihrer Mahlzeit mit glitzernden Augen.
    Emerald, Patience, Ernest, John und Clovis, alle in Abendkleidung, sahen sich in der Küche mit ihren Bergen halb fertiger Speisen um.
    Wäre Florence jünger oder weniger diszipliniert gewesen, wäre sie an dieser Stelle in Tränen ausgebrochen, aber sie hatte schon seit Jahren nicht mehr geweint. Manchmal hatte sie das Gefühl, all ihre Tränen – die des Kummers und die der Freude – seien für Theodore vergossen worden, und ihre Augen in ihren Höhlen blieben trocken, während sie sich langsam auf einen oft bedachten, staubigen Tod zubewegte. Sie stellte sich vor, dass kleine Säckchen, die eigentlich mit wogenden Tränen gefüllt sein sollten, verschrumpelt zwischen ihren Augäpfeln und ihrem Gehirn lagen. Aber wenn sie Tränen gehabt hätte, hätte sie sie jetzt darüber vergossen, dass ihre ganze Schufterei auf diese Weise, durch diese üble Krise, vergeudet wurde. Sie wollte nicht in ihrer Küche gesehen werden – nicht so.
    Sie kam sich vor wie eine große Uhr mit offener Rückseite; ihr Ziffernblatt bestand aus Perlmutt, Diamanten und goldenen Zeigern, aber innen enthielt das Gehäuse nur schmutzige alte Eisenteilchen. War alles, was so wundervoll erschienen war, wirklich nur das? Nur diese Federn? Nur diese winzigen Schräubchen? Nur diese Zahnräder? Sie ließ den Kopf hängen.
    »Wo sind die Schürzen?«, sagte Emerald voller Energie. Auf eigenartige Weise genoss sie es geradezu, etwas zu tun, was den Wünschen ihrer Mutter so sehr widerstrebte. Unterschiedliche Teller standen wacklig übereinandergestapelt und warteten darauf, gefüllt zu werden. Die Helfer waren bereit, sie zu kredenzen. Ein großes Messer fest in der Hand, stand Florence über den verschiedenen vorbereiteten Speisen, aber sie brauchte mehrere Anläufe, bevor sie schließlich die Zähne zusammenbiss und die Klinge als Erstes durch die Kruste des Bœuf en croûte stieß. Anschließend nahm sie sich das Kaninchenfrikassee vor, dann die Geflügelpastete … Das Massaker war enorm, die Portionen allerdings notgedrungen klein. Was für acht ein Festmahl gewesen wäre, konnte für dreißig oder mehr höchstens spärlich ausfallen. Waren es am Anfang wirklich so viele gewesen?
    Teller um Teller wurde weggetragen, dazu bündelweise Besteck und dicke Brotscheiben. Die hungrigen Besucher, die auf dreibeinigen Hockern,

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