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Der ungeladene Gast

Der ungeladene Gast

Titel: Der ungeladene Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jones
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so alt wie Charlotte Swift – aber, ach du je, das war kein sehr guter Vergleich, da Charlotte in jedem Alter eine umwerfende Schönheit war. Und damit hob John, völlig verwirrt, den Kopf, sah geradeaus vor sich hin und versuchte, überhaupt nicht an Frauen zu denken – ein Vorhaben, das natürlich von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Binnen einer Minute fragte er sich, ob Florences Knöchel wohl ebenso hübsch waren wie ihr Hals. Seine Rettung war Emerald, die er, im Profil, an einem Rosenkohl knabbern sah. Das war Eleganz, dachte er. Das war Schönheit, das war Angemessenheit. Er ließ den Blick auf ihr ruhen und fragte sich, ob die Tatsache, dass er sie die ganze Zeit nicht beachtet hatte, einen Einfluss auf die Gleichgültigkeit hatte, die sie ihm gegenüber an den Tag legte. Als sie seinen Blick spürte, sah sie keck zu ihm hinüber, und er hatte seine Antwort und spürte, wie sein Selbstvertrauen zurückkehrte.
    »Ich muss sagen, es war ein sehr ungewöhnlicher Abend bisher«, sagte er aufgeräumt.
    »Extrem ungewöhnlich«, stimmte Patience ihm zu.
    »Ich hoffe, Emerald, Sie haben nichts dagegen, wenn ich sage, dass Sie das alles wunderbar gemeistert haben. Stimmt doch, oder?«, wandte er sich an den ganzen Tisch. »War sie nicht einfach wundervoll?«
    »Ach was, ganz und gar nicht. Aber …« Emerald schlug die Hand vor den Mund. »Smudge! Ich muss sie unbedingt holen.«
    »Vielleicht schläft sie schon«, sagte Ernest. Bei den Suttons war es nicht üblich, dass Kinder zur Teezeit im Nachthemd herumliefen oder zusammen mit den Erwachsenen am Abendessen teilnahmen.
    »Smudge doch nicht«, kam es von Clovis. »Nicht wenn Kuchen zu erwarten ist.«
    »Ich habe ihr versprochen, dass sie mir helfen darf, die Kerzen auszublasen.« Emerald stand auf, setzte sich aber gleich darauf abrupt wieder hin, als die Tür aufflog und Charlie Traversham-Beechers, der den Knauf mit tänzelnden Fingerspitzen spielerisch drehte, mit nasaler Stimme verkündete: »Und? Wer sind jetzt die Überlebenden? Ist noch etwas für uns übrig?«

EIN HÖCHST UNERFREULICHES SPIEL
    Herausgerissen aus ihrer fröhlichen Stimmung, plötzlich bedrückt, sah die kleine Gruppe Traversham-Beechers einen Moment lang ausdruckslos an und wandte sich dann wieder dem Essen zu.
    Er begab sich ohne Umschweife zur Anrichte, wählte unter den Karaffen einen sehr dunklen Rotwein und stellte frische Gläser zusammen. Sie klirrten auf dem dämpfenden Tuch leise gegeneinander, während er so hastig einschenkte, dass Tropfen über den Rand der Gläser schwappten, rosig daran herabrannen und das damastene Tuch befleckten.
    »Zum Wohlsein und so weiter«, rief er aufgekratzt, verteilte die Getränke und stellte die Karaffe auf den Tisch. Als er jedem der Anwesenden ein Glas vorsetzte, löste ihre Kameraderie sich in Luft auf. Was eine freundliche Gruppe gewesen war, verwandelte sich in einen Tisch voller vereinzelter, isolierter Seelen. Traversham-Beechers setzte sich neben Emerald und trank gierig.
    »Haben wir es nicht gemütlich? Na, was ist? Sollen wir uns alle betrinken?«, fragte er.
    Der Vorschlag traf auf schockiertes Schweigen.
    »Ich glaube, ich kann die Frage mit einem klaren ›Nein‹ beantworten«, sagte John Buchanan. »Aber gegen ein Glas hätte ich nichts einzuwenden.«
    »Ein Glas, vielleicht auch zwei. So ist’s recht«, sagte Traversham-Beechers und schenkte alle Gläser randvoll nach. »Ein Trinkspruch auf unsere Gastgeberin, die bildschöne Miss – tut mir leid, Mrs Torring… Oh, ich muss mich nochmals entschuldigen: Mrs Swift . Auf Mrs Swift!« Und er hob sein Glas, trank und erkundigte sich leutselig: »Wo ist sie überhaupt?«
    »Sie – sie hat sich vor einer Weile zurückgezogen«, sagte Clovis und fügte, an Emerald gewandt, hinzu: »Meinst du, wir sollten unserer geliebten Mutter einen Teil der kläglichen Reste anbieten?«
    »Gehst du dann bitte und holst sie, Clovis?«, antwortete Emerald, die im Augenblick keine große Lust auf eine Begegnung mit ihrer Mutter hatte.
    Clovis verließ das unordentliche Speisezimmer, in dem die Gäste in ihren ziemlich mitgenommenen Kleidern ohne jede Sitzordnung Platz genommen hatten und der ganze Tisch mit Essensresten übersät war, und betrat die kühle Leere von Fluren und Halle.
    Der Kater Lloyd saß reglos auf einem Treppenpfosten und folgte ihm mit den Blicken.
    Clovis schlich zum Studierzimmer, aus dem gedämpftes Gemurmel drang, und lauschte einen Augenblick, bevor er weiterging.

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