Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis
hatte Reinhart vor zwölf Jahren zwei Monatsgehälter gekostet, sich sein Badezimmer auf diese Weise einrichten zu lassen.
Aber es hatte sich ja bezahlt gemacht.
»Krebs«, wiederholte er. »Ein Krebsgeschwür bildet Metastasen, und wenn es das nicht tut, dann wird es oft nicht entdeckt. Mit vielen Fällen verhält es sich genauso, so habe ich das gemeint. Das mit dem Sohn des Kommissars zum Beispiel ... kommst du noch mit?«
»Das schon«, sagte Winnifred.
»Gut. Wir haben inzwischen alles herausgebracht, was sich über die Ereignisse herausbringen lässt. Aber trotzdem kommen wir nicht weiter, und das ist kein gutes Omen für die weitere Arbeit ... es sei denn, es gibt Knospen.«
»Knospen?«
»Metastasen«, sagte Reinhart. »Es muss noch mehr passieren. Das versuche ich zu erklären. Wenn du nur ein isoliertes Verbrechen begehst — jemanden umbringst, eine Bank überfällst oder was auch immer — und es dabei belässt, ja, dann hast du ziemlich gute Chancen, dich der Gerechtigkeit zu entziehen. Vor allem, wenn du ansonsten ein einigermaßen rechtschaffener Mitbürger bist. Aber normalerweise bleibt es nicht bei diesem Muttergeschwulststadium ... das Verbrechen entwickelt Metastasen, die entdecken wir, wir stellen fest, woher sie stammen, und dann können wir den ganzen Scheiß lösen. Kommst du noch mit?«
Winnifred Lynch seufzte.
»Alles überstrahlende Metaphorik«, erklärte sie und wackelte in seinen Achselhöhlen mit den Zehen. »Kriminalität als Krebs im Körper der Gesellschaft ... originell, das muss ich zugeben. Seit Stunden habe ich nichts dermaßen Treffendes mehr gehört.«
»Hrrm«, sagte Reinhart. »Es ging mir vor allem um die Sache mit den Metastasen.«
»Na gut«, sagte Winnifred. »Die müssen Knospen bilden, sonst kriegt ihr Erichs Mörder nicht, ist das so zu verstehen?«
»Ungefähr«, sagte Reinhart. »Wir treten einfach auf der Stelle ... oder treten Wasser, wenn du ein treffenderes ...«
Er verstummte, weil Winnifred ihn in die Wade gebissen hatte.
»Ai«, sagte Reinhart.
»Gibt es irgendetwas, das für diese Knospenbildung spräche?«
Reinhart dachte nach.
»Woher zum Teufel soll ich das wissen? Krebs ist ein Rätsel, oder nicht?«
»Das schon«, sagte Winnifred. »Aber wenn du mir die Füße massierst und mir die Tatsachen servierst, dann werde ich sehen, was ich tun kann.«
»Fairer Deal«, sagte Reinhart. »Nimm sie aus meinen Achselhöhlen.«
Ulrike Fremdli zeigte jetzt etwas, das er an ihr bisher noch nicht gekannt hatte. Eine Art Behutsamkeit. Er dachte seit einigen Tagen darüber nach, und als sie ihn am Donnerstagabend nach Feierabend aus dem Antiquariat abholte, sagte er es auch.
»Behutsamkeit«, fragte sie. »Wie meinst du das?«
»Du betrachtest mich als Patienten«, sagte Van Veeteren. »Hör auf damit. Mein Sohn ist ermordet worden, wenn ich deshalb den Verstand verliere, dann kriege ich im Krankenhaus mehr als genug von diesem verdammten Therapeutinnenblick.«
»Was zum Henker«, sagte sie. Dann gingen sie schweigend Arm in Arm an Yorrick’s Café vorbei, bis sie dann stehen blieb.
»Na gut, du hast vielleicht Recht. Schluss mit der falschen Rücksichtnahme, aber dann musst du ab und zu auch mal den Mund aufmachen.«
»Hm«, sagte Van Veeteren.
Ulrike musterte ihn mit einer senkrechten Furche zwischen den Augenbrauen.
»Ich gebe ja zu, dass Trauer sehr gut wortlos sein kann«, sagte sie. »Aber ich weigere mich zu glauben, dass wir die Toten auf diese Weise am besten ehren. Wir sollten sie feiern, statt um sie zu trauern ... wie in Mexiko oder wo immer es sein mag. Tag der Toten und so. Stumme Trauer gilt nur dem Menschen, der sie pflegt.«
Van Veeteren dachte eine Weile nach.
»Vielleicht«, sagte er. »Ja, wenn man doch weiterleben muss, dann muss man vermutlich auch ab und zu die Klappe aufmachen.«
Plötzlich prustete sie los. Schlang die Arme um ihn und drückte ihn so heftig an sich, dass er sich fragte, ob er wirklich davon ausgehen durfte, sie bei einer ehrsamen Runde Armdrücken besiegen zu können. Falls es jemals so weit kommen sollte.
»Ich ergebe mich«, sagte er. »Glaubst du ...«
»Was denn?«, fragte sie und ließ ihn los.
»Glaubst du, wir könnten einen Kompromiss finden ... irgendwo zwischen Patient und Sparringpartner, meine ich? Ich glaube, unsere Beziehung könnte dadurch gewinnen.«
Sie lächelte. Hakte sich bei ihm ein und zog ihn weiter.
»Du versuchst hier den idealen Mann zu beschreiben«,
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