Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis
herbeiwinken und um Hilfe bitten zu müssen. Es würde auch nicht leicht sein, für die Polizei eine Erklärung zu finden, falls die ihn dann mit Fragen belästigen sollte. Krankgeschrieben, aber um half fünf Uhr morgens mit dem Auto unterwegs. Den Rücksitz voller Blutspuren, die einem geübten Blick wohl kaum entgehen konnten.
Ganz zu schweigen davon, was passieren würde, wenn er nicht rechtzeitig zu Hause wäre, um den Anruf entgegenzunehmen. Nein, es war überhaupt keine angenehme Vorstellung.
Er hatte keine Panne. Natürlich nicht. Sein vier Jahre alter Audi funktionierte so tadellos wie sonst auch. Er hatte nur ein wenig mit der Idee gespielt. Er hatte derzeit so viele Ideen ... bizarre Gedanken, mit denen er noch nie zu tun gehabt hatte und bei denen er sich manchmal fragte, warum sie sich in seinem Kopf niedergelassen hatten. Gerade jetzt.
Er fuhr in die Garage, nahm anderthalb Tabletten, kroch ins Bett und wartete auf den Anruf. Überlegte sich vage, ob der Erpresser wohl etwas sagen oder einfach wieder auflegen würde. Letzteres kam ihm natürlich wahrscheinlicher vor. Es gab keinen Grund, diese kleine Möglichkeit der Entlarvung zu riskieren. Es war schon wahrscheinlicher, dass er sich später wieder melden würde — wenn er den Inhalt der Tüte überprüft und die Mitteilung gelesen hatte. Das war um einiges wahrscheinlicher. Wenn ihm aufgegangen war, dass das, was er sich für seine ganzen Bemühungen wünschte, sich noch nicht in seinem Besitz befand. Der Lohn für sein langes schwarzes Spiel.
Wenn der Radiowecker richtig ging, dann kam der Anruf um genau fünf Sekunden nach fünf. Er ließ es dreimal klingeln, ehe er sich meldete — und sei es nur, um zu zeigen, dass er nicht in
atemloser Spannung neben dem Telefon saß. Es konnte wichtig sein, so etwas klarzustellen.
Er nahm den Hörer ab und nannte seinen Namen.
Einige Sekunden lang hörte er die Anwesenheit eines anderen in der Leitung, dann wurde die Verbindung unterbrochen.
Von mir aus, dachte er. Wollen mal sehen, was du beim nächsten Mal auf dem Herzen hast.
Er drehte sich im Bett um, rückte die Kissen gerade und versuchte zu schlafen.
Was ihm wirklich gelang. Als er vom nächsten Anruf geweckt wurde, war es Viertel nach elf.
In dem kurzen Moment, der verging, bis er den Hörer gepackt hatte, konnte er noch erkennen, dass etwas nicht stimmte. Dass die Dinge nicht in den Bahnen liefen, die er sich vorgestellt hatte. Was war passiert? Warum hatte der Widersacher mehrere Stunden gewartet? Warum hatte ...
Es war Smaage.
»Wie geht’s denn so, Bruder?«
»Ich bin krank«, brachte er heraus.
»Ja, das habe ich gehört. Der Pastor flucht, und der Arzt ist krank. In was für Zeiten leben wir bloß?«
Er lachte so laut, dass der Hörer knirschte.
»Es ist einfach nur ein Anflug von Grippe. Aber so, wie es aussieht, werde ich wohl die ganze Woche zu Hause bleiben müssen.«
»O verdammt. Wir wollten doch am Freitagabend eine kleine Sitzung abhalten. Wird das zu viel für dich? Im Canaille?«
Er hustete und konnte einige Male keuchend atmen. Was vermutlich ziemlich überzeugend klang.
»Ich fürchte ja«, sagte er. »Aber am Montag gehe ich wieder arbeiten.«
Als er das gesagt und nachdem Smaage ihm gute Besserung gewünscht und aufgelegt hatte, dachte er daran, welche hundertprozentige Fehldiagnose er da gerade geliefert hatte.
Was immer passieren und wie immer die Kugeln während der nächsten Tage rollen würden — eins stand fest. Nur eins. Er würde am Montag nicht ins Krankenhaus fahren.
Er würde nie wieder seinen Fuß dorthin setzen.
Und diese Vorstellung hatte etwas ungeheuer Attraktives.
24
»Dann schalten wir also den Gehirnstrom ein«, sagte Reinhart und arrangierte Pfeife, Tabakbeutel und Feuerzeug vor sich auf dem Schreibtisch. »Ich bin heute Abend mit dem Kommissar verabredet, und ihr könnt euch ja denken, dass er sich sehr für unsere Fortschritte interessiert. Ich möchte ihm eine Tonbandaufnahme von dieser Besprechung mitgeben, dann komme ich wenigstens nicht mit leeren Händen. Überlegt euch gut, was ihr sagt.«
Er drückte auf den Startknopf des Tonbandgerätes. Plötzlich schien Van Veeteren im Zimmer fast greifbar anwesend zu sein, und ehrfurchtsvolles Schweigen breitete sich aus.
»Hrmm, ja«, sagte Reinhart. »Dienstag, 8. Dezember, 15 Uhr. Besprechung der Fälle Erich Van Veeteren und Vera Miller. Wir nehmen uns beide vor, auch wenn der Zusammenhang noch längst nicht klar ist. Ich bitte
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