Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis
Minute.
Neunundvierzig in der zweiten.
Vierundfünfzig in der dritten.
Herrgott, dachte er. Mein Herz steht auch kurz vor dem Kollaps.
Er blieb noch einige Minuten liegen, ohne Pulsschläge zu zählen. Wünschte, er hätte Ulrike neben sich, aber die übernachtete bei ihren Kindern draußen in Loewingen. Oder auf jeden Fall bei einem von ihnen. Bei Jürg, achtzehn Jahre, dem Letzten, der das Nest verlassen musste. Natürlich musste sie auch Zeit für ihn haben, das sah er ein. Obwohl es sich um einen ungewöhnlich stabilen jungen Mann zu handeln schien. Soweit er das beurteilen konnte zumindest; er hatte ihn nur dreimal gesehen, aber alles schien in diese Richtung zu deuten.
Alles, abgesehen davon, dass der Junge Polizist werden wollte.
Van Veeteren seufzte und drehte sich um, um das Uhrenelend nicht mehr sehen zu müssen. Legte sich ein Kissen über den Kopf.
Viertel nach zwei, dachte er. Ich bin der einzige wache Mensch auf der ganzen Welt.
Eine Stunde später stand er auf. Er konnte einfach nicht schlafen, in den letzten Nächten hatte er es höchstens auf zwei oder
drei Stunden im Durchschnitt gebracht, und irgendwelche ihm bekannten Medikamente halfen auch nicht weiter.
Bier nicht. Wein nicht. Händel nicht.
Und andere Komponisten waren auch kein Trost, es war also wohl kaum Händels Schuld.
Es geht nicht, dachte er, als er im Badezimmer stand und sich den kalten Schweiß aus dem Gesicht spülte. Schlafen geht nicht, und ich weiß verdammt gut, weshalb. Warum gebe ich es nicht zu? Warum klettere ich nicht auf einen Berg und schreie so laut, dass alle Menschen es hören können?
Rache! Welcher Vater kann im Bett liegen, wenn der Mörder seines Sohnes unerkannt und frei herumläuft?
So einfach war das. So tief war er in der schwarzen Ursuppe der Biologie verwurzelt. Er hatte es gewusst, als er vor einigen Stunden in sein Tagebuch geschrieben hatte, und er wusste es jetzt. Dass Handeln das einzig wirkungsvolle Mittel war. Homo agens. In jeder Situation. Ob illusorisch oder nicht. Etwas tun, zum Henker!
Er zog sich an. Machte sich durch das Küchenfenster ein Bild vom Wetter und ging hinaus. Es war schweinekalt, aber es regnete nicht und war fast windstill. Er ging los.
Anfangs in Richtung Süden. Durch Zuijderslaan und Primmerstraat bis zum Megsje Plejn. Als er den katholischen Friedhof erreicht hatte, zögerte er zunächst. Beschloss, ihn zu überqueren, merkte bei der Südostecke jedoch, dass er den Asphalt satt hatte und betrat den Randerspark, der als natürliche Verlängerung der Grabflächen angelegt war. Vielleicht waren die Grabflächen auch eine natürliche Verlängerung des Parks, was wusste er. Sicher gab es eine passende Erklärung, aber die war ihm unbekannt.
Die Dunkelheit zwischen Bäumen und Büschen kam ihm fast vor wie eine Umarmung, und es war sehr still. Der Park leuchtet, dachte er, während er sich langsam vorwärts tastete ... tiefer hinein ins Herz der Finsternis, dieses Bild kam ihm ungewöhnlich zutreffend vor. Die Natur öffnet nachts ihre Sinne,
behauptete Mahler immer. Tagsüber schläft sie, in der Dunkelheit jedoch ist sie ein lebendiges Wesen, wir können einfach hingehen und es auf uns einwirken lassen.
Und damit hatte er ganz Recht, zweifellos. Van Veeteren schüttelte den Kopf, um seinen Gedankenstrom zu unterbrechen und sich von diesen Überlegungen zu befreien. Bog bei einer Weggabel aufs Geratewohl nach rechts ab und hatte nach einer halben Minute das Hugo-Maertens-Denkmal erreicht. Es wurde schwach angeleuchtet durch einen einsamen Scheinwerfer unten im Blumenbeet, das den schweren Sockel umgab, und er hätte gern gewusst, warum. Kamen denn nachts Touristen in den Park? Wohl kaum. Er schaute auf die Uhr.
Zehn vor vier.
Handeln? Das einzig wirkungsvolle Mittel? Gib mir Handlungsfreiheit, Mutter Natur! Entlass mich aus der Gefangenschaft!
Er zuckte mit den Schultern und steckte sich eine Zigarette an.
Ich laufe doch nur durch die Nacht, um nicht wahnsinnig zu werden, dachte er. Nur deshalb. Dann hörte er irgendwo in der Dunkelheit einen Zweig brechen. Ich bin nicht allein, erkannte er. Tiere und Verrückte wandeln in der Nacht.
Um drei Uhr konnte er nicht mehr warten. Er ging hinaus in die Garage, warf die Plastiktüte auf den Beifahrersitz und kroch hinter das Steuerrad. Ließ den Motor an und fuhr in Richtung Innenstadt los. Auf dem ganzen beleuchteten Weg bis zum Stadtwald begegnete ihm nicht ein einziges Auto, und als er die Zementröhre
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