Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis
vielleicht hat er das vor.«
Reinhart ließ sich in seinen Schreibtischsessel sinken und steckte sich eine Pfeife an.
»Na«, sagte er. »Die Lage?«
»Ich hab sie nicht erreicht«, sagte Jung. »Sie treibt sich irgendwo mit ihrem Freund herum. Hat erst morgen Nachmittag wieder Dienst. Tut mir Leid.«
»O verdammt«, sagte Reinhart.
»Von wem redet ihr?«, fragte Moreno.
»Natürlich von Edita Fischer«, sagte Reinhart. »Dieser Krankenschwester, die bei der anderen Krankenschwester angedeutet hat, dass Vera Miller angedeutet haben soll ... o Scheiße, was für eine dünne Suppe. Und wie läuft die Ärzteinventarisierung?«
»Sehr gut«, sagte Moreno und reichte ihm den Ordner, der auf ihren Knien gelegen hat. »Da hast du Namen und Fotos aller hundertsechsundzwanzig Ärzte und Ärztinnen, die im Gemeinde arbeiten. Und die einer Hand voll, die in diesem Jahr aufgehört haben, sie sind angekreuzt. Geburtsdatum, Einstellungsjahr, wissenschaftliche Meriten, Fachgebiete, alles, was du dir wünschen kannst. Sogar Familienstand und Familienmitglieder sind angeführt. Im Gemeinde-Hospital herrschen eben Sitte und Ordnung.«
»Nicht schlecht«, bestätigte Reinhart und blätterte im Ordner. »Wirklich nicht schlecht. Stehen die auch nach Klinik und Station da?«
»Natürlich«, sagte Moreno. »Ich habe schon die von der 46 angekreuzt, das war Vera Millers Station. Da arbeiten sechs fest und sieben oder acht andere ab und zu. Die laufen ziemlich viel hin und her, vor allem die Spezialisten ... Anästhesie und so.«
Reinhart nickte, blätterte weiter und betrachtete die Fotos der munteren Männer und Frauen in ihren weißen Kitteln. Offenbar gehörte es zu den Dienstverpflichtungen, sich auf diese Weise fotografieren zu lassen. Der Hintergrund war auf den meisten Bildern derselbe, und alle, fast alle zumindest, hielten den Kopf im selben Winkel und zogen die Mundwinkel energisch nach oben. Offenbar derselbe Fotograf. Sie fragte sich, welche unwiderstehliche Geschichte er erzählt haben mochte, um alle dazu zu bringen, so und nicht anders ihren Mund aufzumachen.
»Nicht schlecht«, sagte er zum dritten Mal. »Hier haben wir also den Mörder mit Bild und persönlichen Daten bis hinunter zur Schuhgröße. Schade, dass wir nicht wissen, welcher er ist. Einer von hundertsechsundzwanzig ...«
»Wenn wir weiterhin nach Rooths Hypothese arbeiten, dann kannst du vierzig Stück abziehen.«
»Ach?«, fragte Reinhart. »Und warum?«
»Weil sie Frauen sind. Aber wie wir jetzt weitermachen sollen, weiß ich auch nicht. Es kommt mir ein bisschen anstrengend vor, die jetzt alle zu verhören, ohne uns zu verraten. Auf den Fotos sehen sie zwar friedlich aus, aber in Wirklichkeit sind sie vielleicht doch nicht ganz so umgänglich. Vor allem, wenn ihnen aufgeht, welchen Verdacht wir haben ... und dann gibt es noch Korpsgeist und überhaupt alles Mögliche.«
Reinhart nickte.
»Wir fangen mit den Nächstliegenden an«, sagte er. »Erst mal nehmen wir uns nur die vor. Was hast du gesagt? Sechs feste
auf der Station und dann noch ein paar? Das müssten wir doch schaffen, bis Jungs Zeugin wieder auftaucht. Wer soll das übernehmen?«
»Nicht Rooth«, sagte Jung.
»Gut, nicht Rooth«, sagte Reinhart. »Aber ich sehe doch hier vor mir zwei zuverlässige Leute. Bitte schön, gute Jagd.«
Er klappte den Ordner zu und gab ihn zurück. Da Jung das Zimmer als Erster verließ, konnte er Inspektorin Moreno noch eine Frage stellen.
»In letzter Zeit gut geschlafen?«
»Besser und besser«, sagte Moreno und lachte sogar. »Und selber?«
»Ganz nach Verdienst«, sagte Reinhart kryptisch.
26
Am Donnerstag brachte die Post neben einigen Rechnungen auch zwei Briefe. Der eine stammte von der Sparkasse und teilte mit, dass sein Darlehen bewilligt worden sei. Die Summe von zweihundertzwanzigtausend Gulden sei seinem Konto bereits gutgeschrieben worden.
Der andere stammte von seinem Widersacher.
Es war diesmal eine andere Art Umschlag. Einfach, billiger. Der Brief selber bestand aus einem zweimal gefalteten Blatt, das wohl aus einem Spiralblock gerissen worden war. Ehe er den Brief las, fragte er sich, ob das irgendein Zeichen sein könne, ob dieser Qualitätsverlust von Bedeutung sei.
Er kam zu keiner klaren Antwort und die Instruktionen waren ebenso einfach und deutlich wie bisher.
Ihre letzte Chance. Meine Geduld ist bald zu Ende. Dasselbe Verfahren wie beim letzten Mal.
Ort: die Mülltonne hinter dem Imbiss an der Ecke
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