Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis
Allgemeinmedizin. Seinem Chef. Ich habe natürlich nichts von unserem Verdacht erzählt ... worum es uns eigentlich geht und so, aber ich hatte das Gefühl, ja, ich hatte das Gefühl, dass da etwas sein könnte. Leissne machte sich einwandfrei Sorgen, seine Sekretärin hatte immer wieder versucht, diesen Clausen zu erreichen. Und niemand von der Station weiß, wo er stecken könnte. Das mit der Krankschreibung klingt auch komisch, aber das ist eine pure Annahme von mir.«
»Familie?«, fragte Reinhart. »Ist er verheiratet?«
Moreno schüttelte den Kopf.
»Lebt allein. Draußen in Boorkheim. Seit einigen Jahren geschieden. Seit zehn im Rumford, nichts Nachteiliges über ihn bekannt.«
»Bisher jedenfalls nicht«, sagte Reinhart.
»Bisher jedenfalls nicht«, wiederholte Moreno nachdenklich. »Aber wir wollen nichts übereilen. Ich habe nur mit Leissne und einer Schwester von der Station reden können ... und es kam erst um halb fünf heraus.
»Wie kam es heraus?«
»Die Sekretärin des Oberarztes schaute vorbei und sagte, er wolle mit mir reden. Ich war gerade mit dem hier fertig.«
Sie wühlte in ihrer Tasche und legte drei Kassetten auf den Tisch.
»Aha, ja«, sagte Reinhart. »Weißt du noch mehr über ihn?«
Moreno reichte ihm ein Papier, und Reinhart studierte es eine Weile.
Persönliche Daten. Beruflicher Werdegang und Meriten. Ein Schwarzweißbild eines Mannes von Mitte dreißig ... kurz geschorene dunkle Haare. Dünne Lippen, langes, schmales Gesicht. Auf der Wange ein kleines Muttermal.
»Sieht aus wie irgendwer«, sagte er dann. »Ist das ein altes Foto?«
»Fünf oder sechs Jahre, nehme ich an«, sagte Moreno. »Er ist jetzt knapp über vierzig.«
»Hat er Kinder? Aus dieser geschiedenen Ehe, zum Beispiel?«
»Wenn ja, dann weiß Leissne nichts davon.«
»Frauen? Feste Freundin?«
»Unklar.«
»Und keine Sünden?«
»Auf jeden Fall keine aktenkundigen.«
»Und die Exgattin?«
Moreno schloss das Fenster.
»Keine Ahnung. Sie wussten nicht einmal ihren Namen.
Aber Leissne hat einen Kollegen genannt, der uns vielleicht weiterhelfen kann ... offenbar ist der mit Clausen befreundet.«
»Und was sagt der Kollege?«
»Nichts. Bisher habe ich nur mit seinem Anrufbeantworter gesprochen.«
»Ach, verdammt«, sagte Reinhart.
Moreno schaute auf die Uhr.
»Halb acht«, sagte er. »Wir könnten doch hinfahren und uns mal umsehen? In Boorkheim, meine ich. Wir haben doch die Adresse.«
Reinhart klopfte seine Pfeife aus und erhob sich.
»Worauf wartest du noch?«, fragte er.
Auf dem Weg nach Boorkheim wurden sie von einem Schneeregen überfallen, der die Vorortstristesse noch verstärkte. Sie brauchten eine Weile, bis sie die Malgerstraat gefunden hatten, und als Reinhart vor der Nummer siebzehn anhielt, merkte er, dass ihm die Menschen noch mehr Leid taten als sonst. Ist bestimmt schwer, hier draußen dem Leben irgendeinen Sinn zu entnehmen, dachte er. In diesen grauen Kartons, in diesem trostlosen Klima. Die Straße, die Gott vergessen hat. Grau, feucht und eng.
Und doch wohnte hier die Mittelklasse. Vor den Häusern stand eine Karawane aus mehr oder weniger identischen japanischen Kleinwagen, und hinter jedem dritten Fenster spielte blaues Fernsehlicht.
In Nummer siebzehn jedoch war alles dunkel. Sowohl im Erdgeschoss als auch im ersten Stock. Das Haus gehörte zu einer Zeile aus Zweietagenklötzen aus grauem oder möglicherweise braunem Ziegel mit neun Quadratmetern Garten und asphaltierter Garagenauffahrt. Eine durchweichte Rabatte voller Unkraut sowie einem Briefkasten aus Beton, mit schwarzen Eisenstreben.
Reinhart schaltete den Motor aus, und sie starrten eine Zeit lang das Haus an. Dann stieg er aus und hob die Klappe des
Briefkastens. Der Briefkasten war verschlossen, aber durch den Schlitz konnte er zwei Tageszeitungen und allerlei Post sehen. Eigentlich schien der Briefkasten reichlich voll gestopft zu sein, er bezweifelte, dass eine weitere Zeitung dort Platz hätte. Er kehrte zum Auto zurück.
»Würdest du mal klingeln?«, fragte er Moreno.
»Ich habe keine besondere Lust. Und viel Sinn scheint es auch nicht zu haben.«
Trotzdem stieg sie aus und ging zur Tür. Drückte auf den Knopf und wartete eine halbe Minute. Drückte noch einmal. Nichts passierte. Sie ging zurück zu Reinhart, der neben dem Auto stand und wegen des Regens die Pfeife umgedreht rauchte.
»Was machen wir?«, fragte sie.
»Morgen Vormittag Hausdurchsuchung«, entschied Reinhart. »Wir geben ihm
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