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Der Ungnädige

Der Ungnädige

Titel: Der Ungnädige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
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blutleeres, weißes Gesicht hob sich grotesk vom Orange des Sofas ab. Die Gesichtszüge gehörten eindeutig Cheyenne. Sie waren weder von Gewalt entstellt noch von Verfall gezeichnet. Wir brauchten ihre Eltern nicht zu belügen, wenn wir ihnen sagten, dass sie friedlich aussah, denn so war es tatsächlich. Eingewickelt in eine Decke, zerzaust, schmutzig und tot, aber in Frieden.
    Hanshaw reichte Ali die Taschenlampe, die sie schräg über seiner Schulter in die Höhe hielt, damit er so viel Licht wie möglich hatte.
    » Wir können noch Lampen holen « , bot Godley an, und ohne sich umzudrehen, hob Hanshaw dankend die Hand.
    » Im Moment nicht nötig. Ich kann gut so arbeiten. Wenn der Leichnam abgeholt ist, ist es sicherlich ratsam, die Örtlichkeit noch mal genauer unter die Lupe zu nehmen, aber ich habe hier nicht viel zu tun. Nur eine kurze Untersuchung und dann bin ich hier fertig mit ihr. «
    Er trug Handschuhe und begann langsam, die Decke zu entfernen.
    » Ihre Unterarme sind mit einem weiteren Gurt zusammengebunden « , erläuterte er über seine Schulter in den Raum hinein. » Beine nicht gefesselt. Sie ist nackt. Mehrere Quetschungen an Rippen und Hals. Fingerabdrücke an inneren Oberschenkeln und Knien. « Prüfend beugte er sich näher. » Vermutlich sexueller Übergriff. Entsprechendes Beweismaterial werde ich noch sicherstellen. «
    Derwent beugte sich zur Seite, um es mit eigenen Augen zu sehen, und wandte sich urplötzlich ab. Ich sah ihm nach, wie er aus dem Raum taumelte und dabei mit dem Türrahmen kollidierte, als hätte er ihn nicht gesehen. Wohl doch nicht so hartgesotten, wie er immer tat. Godley hingegen war so unbewegt wie eine Marmorstatue, er wirkte kühl und distanziert.
    Hanshaw fuhr mit seiner Arbeit fort, machte ein paar schnelle Fotoaufnahmen, hüllte ihre Hände und Füße in Plastikbeutel, um das Spurenmaterial zu schützen, und nahm Proben von ihrem Blut und anderen Körperflüssigkeiten. Er hantierte zügig, aber ohne Eile; vorsichtig und souverän, und ich war sehr sicher, dass er nichts, was der Leichnam uns berichten konnte, übersehen würde.
    Als ich fand, dass ich genug gesehen hatte, zog ich mich in den hinteren Teil des Raumes zurück, der abgesehen von dem Sofa nahezu leer war. Ein Couchtisch stand kopfüber in der Ecke, drei Beine ragten gen Decke, während das vierte auf Nimmerwiedersehen verschwunden war. Jemand hatte einen Bürostuhl hineingerollt, der schwere Schlagseite hatte und dessen Sitz fast vom Gestell fiel. Er erinnerte mich an Ivan Tremlett, und ich spürte, wie sich mein Magen vor Ekel zusammenkrampfte. So viel Blut war geflossen, völlig umsonst. John Skinner hatte nichts erreicht, so wie wir alle. Das war für ihn sicher ebenso schwer zu ertragen wie der Verlust seines Kindes.
    Eine Stimme raunte mir ins Ohr: » Alles okay? «
    Ich zuckte zusammen. » Hast du mich erschreckt. « Vorwurfsvoll sah ich Rob an. Ich war sicher, dass meine Mimik deutlich zeigte, wie ungehalten ich war; meine Stimme durfte ich ja nur unwesentlich über ein Flüstern erheben.
    » Tut mir leid. Ich wollte nur ganz leise sein. «
    » Ist dir gelungen. « Die Szenerie vor unseren Augen wirkte schon fast wie ein Gemälde: das Hell und das Dunkel, die auf dem Rücken liegende Gestalt des Mädchens und seine schattenhaften Bediensteten. Ein Rembrandt, dachte ich und erinnerte mich vage an ein ähnliches Bild mit einer sezierten Leiche im Mittelpunkt, das in einem Kunstlehrbuch aus meiner Schulzeit abgebildet war. Ich hatte es mir nicht gern angesehen, auch damals schon. Und da hatte ich noch nicht geahnt, dass das einmal Teil meines Broterwerbs sein würde.
    » Gruselig, oder? « Rob schaute sich um, so wie ich es getan hatte, und musterte nachdenklich die Kulisse, die wie der neueste postapokalyptische Chic wirkte. » Was war denn mit Derwent los? «
    » Hat sicher Magenflattern bekommen. « Sein Gesicht verzog sich zu einem Grinsen, und ich konnte nicht verhindern, dass mit meinem dasselbe geschah, ungeachtet aller Umstände. Es tat einfach zu gut, dass ausgerechnet Derwent es nicht geschafft hatte, sich im Griff zu haben. » Bestimmt wartet er draußen im Gang. «
    » Ich sollte ihn mal fragen, wie kraftvoll er sich jetzt fühlt. « Es sah ganz so aus, als hätte er das tatsächlich vor, und ich packte ihn am Arm.
    » Um Himmels willen, provozier ihn nicht. Du hast mich selbst davor gewarnt. «
    » Ja, aber das hieß doch nicht, dass das auch für mich gilt. « Sein Grinsen

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