Der Ungnädige
bisschen Unterstützung. « Er riss die Verpackung auf und stopfte sich ein halbes Sandwich in den Mund. Nebenbei brachte er heraus: » Liv Bowen hat mir verraten, wo’s langgeht. «
» Was macht denn Liv hier? « Ich erinnerte mich, dass sie zu keiner der beiden Einsatzgruppen gehörte, und war mir ziemlich sicher, dass ich sie auf dem Revier zum letzten Mal gesehen hatte.
» Sitzt unten. Mit der Kerrigan. «
Ich erstarrte. Unten war die Notaufnahme. » Maeve? Was ist mit ihr? «
» Hab sie nicht gesehen. Liv ist nur plötzlich aufgetaucht, als ich auf der Suche war. Sie meinte, dass sie mit der Kerrigan hergekommen wäre. Keine Ahnung, wieso…Wo willst du denn hin? «
Ich war aufgesprungen und rannte los. Für eine Antwort hatte ich jetzt keine Zeit. Das Einzige, was ich hätte sagen können, war der Gedanke, der in meinem Kopf rotierte:
Ich hätte sie nicht allein lassen dürfen.
19
Sonntag
Maeve
Bis dahin hätte ich nie geglaubt, dass man gleichzeitig in Hochstimmung und völlig am Boden sein kann. Ich lief den Korridor entlang und versuchte, die Blicke meiner Kollegen zu vermeiden– aus zwei sehr verschiedenen Gründen: Einerseits hätte ich im Erdboden versinken können, weil ich vergessen hatte, die Bancroft-Brüder im PNC -System zu überprüfen, und andererseits wollte ich möglichst nicht gefragt werden, warum ich ganz aus dem Häuschen war vor Glück. Es ist völlig in Ordnung, auf einer Wolke aus purer Glückseligkeit zu schweben, aber das war weder die richtige Zeit noch der richtige Ort dafür. Ich riss mich also zusammen und versuchte ganz bewusst, nicht an Rob zu denken, während ich mich darauf konzentrierte, den von mir angerichteten Schaden so gut es ging in Ordnung zu bringen.
Jedes Mal, wenn ich an Lee Bancroft dachte, begab sich mein Magen in den freien Fall. Den Augenblick, als ich den Strafeintrag in Alexander Bancrofts Akte in der PNC -Datenbank sah, würde ich wohl so schnell nicht vergessen. Über Einzelheiten schwieg sich das System mehr oder weniger aus. Dem zuständigen Sachbearbeiter hatten gerade mal zwei Zeilen für weitere Informationen zur Verfügung gestanden. Eigentlich konnte ich gar nicht genau sagen, warum, aber bei der knappen Beschreibung sträubte sich mir das Gefieder: » Der Täter vergewaltigte in der Evanston School, Enfield, eine zwölfjährige Schülerin « . Zu jener Zeit war er 15 Jahre alt gewesen. Allein die Tatsache, dass der Bearbeiter in einem Vermerk darum ersucht hatte, die Akte länger als die üblichen sieben Jahre im PNC stehen zu lassen, sagte mir, dass er die Sache ernst nahm und Lee für einen potenziellen Wiederholungstäter, also für gefährlich hielt.
Das Kürzel YE in der genauen Referenznummer des Falles verriet, dass die Anzeige von der Polizeidienststelle Edmonton bearbeitet wurde. Dort hatte ich angerufen, in der Hoffnung, DC Tony Stone zu erreichen, war aber keineswegs überrascht gewesen, als ich hörte, dass er sich in den letzten elf Jahren beruflich weiterentwickelt hatte. Tony Stone war im Laufe seiner Karriere ziemlich herumgekommen und mittlerweile als Detective Inspector in Croydon gelandet. In der Hoffnung, dass er zufällig gerade Dienst hatte, rief ich die Dienststelle Croydon an, aber natürlich war er nicht da. Ich bettelte so lange, bis seine Kollegin sich erbarmte und mir seine private Telefonnummer gab. Damit rief ich ihn umgehend auf seinem Mobiltelefon an, nur um von einer freundlichen Frauenstimme zu erfahren, dass Tony mit den Kindern beim Fußball sei und aus Versehen sein Telefon zu Hause liegen gelassen habe. Sie versprach ihm auszurichten, dass er mich anrufen solle, und damit musste ich mich wohl oder übel zufriedengeben.
Im Grunde gab es für mich momentan nichts zu tun. Ich hatte den CRIS -Bericht gelesen, der längst nicht so aufschlussreich war, wie ich es mir gewünscht hätte, und hatte deshalb die PNC -Akte angefordert. Dass diese an einem Sonntag eintreffen würde, war mehr als unwahrscheinlich, und man musste schon sehr optimistisch sein, für den folgenden Tag damit zu rechnen. So blieb mir nur, geduldig auf den Rückruf von DI Stone zu warten, und ich hoffte, dass seine Frau nicht vergessen hatte, ihm die Nachricht zu übermitteln. In der Zwischenzeit versuchte ich meinen Kollegen aus dem Weg zu gehen, die gerade die Verhaftung der Bancroft-Brüder vorbereiteten. Nicht mal nachdenken wollte ich darüber. Derwent hatte schon Recht: Ich war nachlässig gewesen und verdiente es daher nicht, bei
Weitere Kostenlose Bücher