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Der Ungnädige

Der Ungnädige

Titel: Der Ungnädige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
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ist zu Ende. « Er verbeugte sich tief. Lachend richtete er sich wieder auf. » Großer Gott, es wird wohl eine ganze Weile dauern, bis ich mir diese Mittelalter-Masche wieder abgewöhnt habe. Hoffentlich werde ich erst dann zum Vorsprechen für die EastEnders- Serie eingeladen, wenn ich fertig bin mit dem Abtrainieren. «
    Mich darauf einzulassen, war offenbar die einzige Chance, mich aus dieser Unterhaltung zu befreien, der ich gerade nur etwas mühsam folgen konnte. » Sie wohnen ganz oben, richtig? Ich komme in ein paar Minuten mit dem Eis hoch. «
    » Wusst ich’s doch, dass Sie der Aussicht auf einen Drink mit Wladimir und Estragon von der Northcliffe Road nicht widerstehen können. Walter ist natürlich Godot. Und Szuszanna mimt den Nackten Wahnsinn. « Er senkte die Stimme. » Haben Sie auch schon gehört, wie sie und Gyorgy es miteinander treiben? Die Musik soll es zwar übertönen, aber trotzdem hört es sich an wie fickende Füchse. Ich bring es nur nicht übers Herz, ihr das zu sagen. «
    Ich sah zu Chris hinüber. » Verstehst du auch nur die Hälfte von dem, was er da sagt? «
    » Nicht mal das. « Er zuckte die Schultern. » Los komm, Brody. «
    Die beiden Männer machten sich auf den Weg nach oben, wobei Brody im Laufschritt die Treppe hinaufstürmte und seinen Arm ausgestreckt hielt, als trüge er ein Schwert. Chris trottete mit gesenktem Kopf hinterher und schaute konzentriert auf seine Füße– Selbstdarstellung war so gar nicht seine Sache.
    » So habe ich das Schloss gestürmt « , tönte es von oben zu mir herunter. Ich öffnete die Tür und schüttelte ungläubig den Kopf. Ich hatte schon mit vielen merkwürdigen Leuten unter einem Dach gewohnt, aber einer wie Brody Lee war mir noch nicht untergekommen. Ich ertappte mich dabei, wie ich mich darauf freute, ihn näher kennen zu lernen. Außerdem konnte ich ein bisschen Ablenkung ganz gut gebrauchen, laut und lustig, damit ich nicht an die Arbeit denken musste. Oder an Godleys Gesicht, als er sagte, er wollte Skinner eine Lektion erteilen. Oder daran, dass ein 14-jähriges Mädchen verschwunden war und es mit jeder verstreichenden Sekunde unwahrscheinlicher wurde, sie zu finden– tot oder lebendig. Über all das für eine Weile nicht nachzudenken, schien mir die beste Idee dieses Tages zu sein.

11
    Ich war zwar ganz bestimmt keine Trantüte, aber ich brauchte schon einige Zeit, bis ich mich wieder gesellschaftsfähig fühlte. Eigentlich wollte ich ja ein Bad nehmen– regelrecht geträumt hatte ich von meiner Badewanne–, entschied mich dann aber doch für die Dusche, schälte mich aus meinen zerknitterten Klamotten und warf sie in einem Haufen auf den Badfußboden. Ich sehnte mich wirklich nicht danach, sie jemals wieder anzuziehen.
    Mit geschlossenen Augen stand ich viele lange Minuten unter der Dusche und ließ den Tag los, bevor ich mich Zivilisten aussetzte. Es war schwer zu erklären, was ich beruflich tat und zu sehen bekam, und ich hoffte wider alle Vernunft, dass ich Brody von diesem Thema ablenken konnte, falls er danach fragte. Er wirkte wie jemand, der mit Begeisterung den ganzen Abend ausschließlich über sich selbst reden konnte. Andererseits verfügte er über eine Eigenschaft, die ich auch gern gehabt hätte: die Fähigkeit, eine Frage so direkt zu stellen, dass die angesprochene Person unwillkürlich antwortet, ob sie will oder nicht. Ich bereute es schon jetzt, dass meine Tarnung aufgeflogen war. Aber eigentlich spielte es ja keine allzu große Rolle. Schließlich wollte ich meine neuen Hausgenossen nicht verhaften. Für mich war es völlig in Ordnung, ihnen ihre Privatsphäre zu lassen– vorausgesetzt, sie waren bereit, meine zu respektieren.
    Ich hätte durchaus noch länger unter der Dusche stehen bleiben können, aber allmählich brannte das Wasser auf meiner Haut. Nachdem ich mich abgetrocknet hatte, stellte ich mich zunächst vor den hohen Spiegel in meinem Schlafzimmer und zog Bilanz. Am Ellbogen entdeckte ich eine Schürfwunde und entlang meinem linken Oberschenkel einen bläulichen Schatten– Vorbote eines erstklassigen Blutergusses, der sich mehr oder weniger vollständig von der Hüfte bis zum Knie erstreckte. Ich war krachend zu Boden gegangen, völlig überrumpelt. Kein Wunder also, dass mir das ein paar Andenken beschert hatte. Da mir der gigantische Kopfverband auf die Nerven ging, wickelte ich ihn ab und hoffte, dass sich das, was darunter zum Vorschein kam, nicht als noch größerer Blickfang

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