Der unheimliche Kommissar Morry
großen, schreckensstarren Augen an.
„Das war er", flüsterte sie.
Ashton stand auf. „Er?"
Constance nickte. „Ja. Er . . . der Unheimliche!"
Ashton trat zu ihr. In ihrem Blick flatterte die Furcht.
„Ich hatte gehofft, daß nach dem Schmuckdiebstahl alles vorbei sein würde . . . und nun beginnt die Tortur von neuem. Ich werde abreisen. Noch heute reise ich ab!"
„Was ist geschehen? Was hat er gesagt?"
„Er fordert fünfzigtausend Pfund . . . oder mein Leben!"
„Das ist doch nicht ernst zu nehmen! Ich wette, irgendein Ganove hat durch den Schmuckdiebstahl von Ihrem Reichtum erfahren und versucht daraus auf seine Weise Profit zu schlagen."
Constance ging zurück zu ihrem Stuhl. Sie setzte sich. „Ich nehme es aber ernst", sagte sie und blickte durch die offene Balkontür ins Freie. „Sie würden nicht anders denken und handeln, wenn Sie die Stimme gehört hätten."
„Können Sie die Stimme beschreiben?"
„Das ist nicht schwer. Sie ist ungewöhnlich kühl und distanziert, vielleicht ein wenig metallisch . . . wie bei einem Roboter, bei einem Wesen ohne Herz und Seele."
Er ist es! schoß es Ashton durch den Sinn. Jetzt greift er sogar nach Constances Leben! Das darf nicht sein.
Constance gab sich einen Ruck. „Ich muß sofort den Kommissar anrufen", sagte sie.
„Das wird ohne Zweifel das klügste sein", meinte Ashton.
Constance telefonierte mit Scotland Yard. Da der Kommissar nicht zu erreichen war, berichtete sie einem Hilfskommissar namens May, was sich ereignet hatte. Nachdem sie eine Reihe detaillierter Fragen beantwortet hatte, nahm sie wieder Platz.
Ashton fragte: „Werden Sie jetzt meine Hilfe annehmen?"
Sie musterte ihn erstaunt. „Ihre Hilfe?"
Er nickte. „Ich möchte Sie beschützen. Ich möchte etwas tun, um sicherzustellen, daß Ihnen nichts geschieht. Es quält mich, mit Ihnen nur Tee trinken zu dürfen. Ich möchte aktiv in das Geschehen eingreifen. Natürlich bin ich kein Polizist und mir ist völlig klar, daß mir alle Hilfsmittel und Voraussetzungen zur Verbrecherjagd fehlen. Aber ich bin so gut wie jeder andere in der Lage, eine Situation zu analysieren. Ich kann keine anderen Fragen an Sie richten, als die, die die Polizei bereits gestellt haben dürfte. Aber es gibt da einen Punkt, der mich besonders interessiert. Er bezieht sich auf die gestrige Äußerung von Ihnen, derzufolge Sie überzeugt sind, den Unheimlichen sofort zu erkennen, wenn Sie ihn sehen. Worauf beruht diese Annahme?"
Constance zögerte mit der Antwort. Dann sagte sie: „Es liegt im Wesen der menschlichen Natur, daß wir uns alle Dinge plastisch vorstellen, Sobald wir an einen Schurken denken, oder im Radio eine Stimme hören, versuchen wir uns ein Bild des Betreffenden zu formen. Es ist durchaus möglich, daß diese jeweiligen Vorstellungen keine Beziehung zur Wirklichkeit haben; das hält uns nicht davon ab, nach immer neuer Nahrung für die Gestaltungskraft unserer Phantasie zu suchen."
„Gut. Wie also ist das Bild beschaffen, das Sie sich von dem Unheimlichen gemacht haben?"
„Ich denke, daß er ein schwerer, massiger Mann mit einem kurzen, gedrungenen Nacken und einer niedrigen, zurückfliehenden Stirn ist. Er hat schwere, auffallend weiche, teigige Hände von großer Blässe. Er lächelt nie. Er lacht nie. Seine Augen sind dunkel und undurchdringlich wie die Keller eines verlassenen Hauses. Es ist etwas Animalisches an ihm, etwas Unwägbares, Düsteres, eine Mischung von Raubtier im allgemeinen und Katze im be- sondern. Ich stelle mir vor, daß er stets leicht gebückt geht . . . wie jemand, der sich auf einen plötzlichen Sprung, auf einen Angriff oder auf eine Abwehr vorbereitet."
„Hm", machte Ashton. „Dieser Typ, den man gewiß unter Tausenden erkennen würde, erinnert mich ein wenig an die Schurken bestimmter amerikanischer Gruselfilme. Sind Sie sicher, daß Sie sich von diesen Schablonen nicht beeinflussen ließen?"
„Ich kann nicht sagen, welche Einflüsse bei dem von mir geschilderten Bild bestimmend wirkten. Ich weiß nur, daß ich ihn mir so vorstelle."
„Was hat er eben am Telefon gesagt? Wörtlich, meine ich."
„Er sagte: .Hier spricht der Besitzer des Schmuckes. Ich benötige von Ihnen fünfzigtausend Pfund in bar. Bereiten Sie die Auszahlung in kleinen Noten vor. Weitere Nachrichten folgen. Falls Sie sich weigern sollten, die Summe zu bezahlen, müssen Sie sterben."
„Klingt ziemlich wild, was? Ich nehme an, daß die Polizei nach diesem Vorfall die
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