Der Unheimliche
Zimmernummer
ein, kritzelte das Schlangenzeichen hin und gab ihm den Block zurück. Er preßte
die Lippen zusammen, als er das Zeichen sah.
»Sagt Ihnen dieses Zeichen
etwas?« fragte ich.
»Nein, Sir. Wieso?«
»Warum nennen Sie mich nicht
ganz einfach Lieutenant?« meinte ich.
Ich trank meinen Whisky und
ging dann in mein Zimmer hinauf. Ich schlüpfte in meinen Pyjama und legte mich
ins Bett. Entgegen meinen Erwartungen schlief ich sofort ein und erwachte am
nächsten Morgen gegen neun Uhr.
Zehn Uhr war es, als ich
schließlich das Hotel verließ, und halb zwölf, als ich das Büro wieder betrat.
Annabelle sah mich an, als käme
ich aus einer anderen Welt. »Der Sheriff hat schon seit neun Uhr heute früh nach
Ihnen gefragt, Lieutenant«, erklärte sie. »Nach seinem Gebrüll zu schließen,
scheint er nicht gerade bester Laune zu sein.«
»Da können wir uns ja die Hände
reichen«, meinte ich.
»Sie werden uns hier etwas
fehlen, mein Lieber«, sagte sie nachdenklich. »Wie ein alter Fleck an der
Decke, den man eines Tages überstrichen hat.«
»Werden wir doch nicht
sentimental, meine Süße. Sonst läuft mir noch die Wimperntusche aus.« Ich
streifte im Vorbeigehen fast ihren Schreibtisch und ging auf die Tür zum Büro
des Alten zu. »Außerdem ist es für solche dummen Scherze viel zu früh am
Morgen.«
»Ist kein Scherz, Liebling. Im
Gegenteil: eine Wahrsagung!« Ich klopfte an Lavers ’
Tür, öffnete sie und trat ein. Er unterschrieb gerade etwas, blickte auf,
rollte die Augen und betrachtete mich nicht gerade mit einem Ausdruck der
Begeisterung.
»Nett von Ihnen, uns auch
einmal wieder die Ehre zu geben.« Er machte eine große Sache daraus, einen
Blick auf seine Armbanduhr zu werfen. »Ich bin wohl allmählich verkalkt. Ich hatte
den Eindruck, Ihnen gesagt zu haben, Sie sollten um neun Uhr hier sein.«
»Jawohl, Sir!«
Seine Wangen liefen dunkelrot
an. »Was soll das heißen: >Jawohl, Sir!< Daß ich verkalkt bin?«
»Daß Sie mir sagten, ich solle
um neun Uhr hier sein«, antwortete ich. Ich trat zu dem Ledersessel vor seinem
Schreibtisch und ließ mich hineinfallen. Immer ärgerte es ihn, wenn ich es mir
bequem machte. Heute früh ärgerte es ihn sogar noch mehr.
»Haben Sie überhaupt eine
Ahnung, wie spät es ist, Wheeler?« fragte er mit gefährlich leiser Stimme.
»Elf Uhr und dreiundvierzig
Minuten.«
Er nickte. »Damit haben Sie
sich genau um zwei Stunden, dreiundvierzig Minuten und zwanzig Sekunden
verspätet.«
»Na ja, einige Minuten hin oder
her!« gab ich ihm zu.
Er lehnte sieh zurück, faltete
die Hände über dem Bauch und glotzte mich an. »Mein lieber Wheeler, Sie haben
sich in letzter Zeit allerhand erlaubt! Zuviel. Es ist an der Zeit, daß ich
etwas dagegen tue.«
Ich fühlte, wie mir das Blut
ins Gesicht stieg, und das lag nicht etwa am Klima. So holte ich mir erst
einmal ein Päckchen Zigaretten hervor. »Hören Sie mich an, Sheriff«, begann
ich, »bevor wir zur Guillotine schreiten, und verbessern Sie mich, falls ich
mich irre. Sie haben mich doch nur in Ihr Büro geholt, um jemanden zu haben, der
nicht nach dem Buchstaben arbeitet. Damals habe ich Ihnen gesagt, ich hätte die
Aussicht, in den Geheimdienst zurückzukehren, und ich hätte auch Lust dazu. Da
haben Sie mir erklärt, ich sollte in diesem Amt freie Hand haben, und Sie haben
mir die andere Sache ausgeredet. Stimmt’s?«
Das Rot von Lavers ’
Gesicht verwandelte sich langsam in Blau. Es verschlug ihm beinahe die Stimme.
»Jawohl, ich habe wohl das Wort Außenseiter ausgesprochen. Aber ich habe mir
natürlich darunter vorgestellt, daß Sie für mich und nicht gegen mich arbeiten.
Oder wäre das etwa zuviel erwartet?«
Ich führte ein Streichholz an
meine Zigarette und füllte meine Lungen mit Rauch. »Sie haben mich noch nicht
gefragt, warum ich mich verspätet habe, Sheriff. Sie haben mir bisher nur
gesagt, was mir zustoßen wird, weil ich zu spät komme.« Ich blies zwei
Rauchfahnen aus. »Interessiert es Sie nicht?«
Er beugte sich vor und stützte
seinen Ellbogen auf den Tisch. »Was wollen Sie mir denn da wieder vorerzählen,
Wheeler?« Seine Augen verengten sich. »Warum sind Sie denn so spät dran?«
»Ich hatte ein wichtiges
Telefongespräch zu führen, Sheriff. Mit dem Geheimdienst in Washington.« Ich
erhob mich und sah den Sheriff über seinen Schreibtisch hinweg an. Ich senkte
meine Stimme, um meinen Worten größeren Nachdruck zu verleihen. »Vielleicht
hängt unsere Vereinbarung nicht
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