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Der Unsichtbare Feind

Titel: Der Unsichtbare Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
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und Mund bei den meisten der kranken Tiere auftrat. Ob es sich um Hühnergrippe handelt?, fragte er sich, und er bekam einen trockenen Mund, während seine ungebremste Fantasie sich bereits ein schnelles Urteil bildete. Aber der Arzt in ihm drängte zur Vorsicht. Alle möglichen schweren Lungeninfektionen konnten zu einer löchrigen Lunge führen, bei der blutiger Schaum aus den Atemwegen floss. Es gab sogar eine Abkürzung für das Phänomen – ARDS, was für ›Adult Respiratory Stress Syndrome‹ stand und ein akutes Lungenversagen bezeichnete. Also beruhige dich, Steele, ermahnte er sich. Vielleicht ist es überhaupt gar keine H5N1-Infektion.
    Aber es sah so aus, so sicher wie das Amen in der Kirche.
    Er beugte sich hinab und sah sich einen Klammeraffen an, der offenbar gesund war, als plötzlich ein milchiges Spray aus der Düse in seinem Käfig austrat. Wie Nebel floss es über Gesicht und Körper des Tieres, sodass es sich die Augen rieb, die Lippen leckte und das Fell abrieb. Die Substanz schien fettig zu sein und brachte das Fell zum Glänzen. Das schien das Tier allerdings nicht im Geringsten zu interessieren. Zwanzig Sekunden später klickte es kurz, der milchige Nebel verschwand, und der Affe, offensichtlich völlig sorglos, putzte sich weiter.
    Mit unbehaglichem Gefühl und verwirrter als je zuvor, ging Steele zur nächsten Gruppe von Käfigen, wo er wie angewurzelt stehen blieb. Diese Tiere waren alle dem Tode nahe, aber eindeutig aus anderer Ursache. Aus ihren Mäulern quoll Erbrochenes, dunkelbraun wie Kaffeesatz, und aus ihren Aftern floss pechschwarzer, wässriger Stuhl. Aus Nasen und Zahnfleisch strömte Blut. Sie lagen hilflos in ihrem eigenen Schmutz auf dem von Kot bedeckten und blutverschmierten Käfigboden.
    Ihm drehte sich vor Übelkeit der Magen um. Er wich zurück, während sein Verstand reflexartig zu überlegen begann, was wohl mit ihnen los war. Die pechschwarze Farbe des Durchfalls sagte ihm, dass zumindest ein Teil der schweren Blutungen den Magen betraf, da die Salzsäure der Magenflüssigkeit mit dem Eisen des Hämoglobins reagierte und ihm die charakteristische schwarze Farbe verlieh. Andererseits deutete frisches Blut aus Nase und Zahnfleisch auf Blutgerinnungsprobleme. Aber das waren wahrscheinlich alles sekundäre Symptome. Das starke Erbrechen und der Durchfall deuteten darauf hin, dass der Hauptsitz der Krankheit im Magen-Darm-Trakt zu suchen war, aber was konnte es sein? Er stellte wieder fest, dass auch von diesen Tieren keines sein Futter angerührt hatte, was nicht überraschte, aber in diesem Fall lag der Mais überall verstreut herum. Eines der armen Geschöpfe begann da, wo es lag, zu urinieren. Der Strahl beschrieb einen schwachen Bogen in die Luft. Der Urin war rot und zeigte somit, dass auch die Nieren oder die Blase bluteten. Weitere diagnostische Möglichkeiten jagten durch seinen Kopf, darunter einige der schlimmsten Albträume, die die Medizin kannte.
    Er wich langsam zurück und wollte wegsehen, und doch hing sein Blick wie festgenagelt an den sterbenden Tieren. Er fühlte sich, als ob er in ein Vakuum blickte, aus dem Logik und Verstand herausgesaugt worden waren, und dort überkam ihn eine furchtbare Vorahnung, dass er es hier mit Wissenschaft zu tun hatte, die zum Bösen geworden war. Denn falls sich Agrenomics nicht plötzlich auf das Gebiet der medizinischen Forschung begeben hatte und nach einem Heilmittel für eine Krankheit suchte – um welch schreckliches Leiden es sich auch handeln mochte, das sie in diesen Käfigen entfesselt hatten –, würde doch niemand, der bei Verstand war, so etwas tun. Trotz seiner Schutzkleidung wurde ihm kalt, als ob in dieser grauen Krypta ohne Geräusche und Farben auch Wärme, wie die Moral, nicht existieren konnte.
    Während sich in seinem Kopf alles drehte, ging er zu den Stapeln von Dokumenten und Videobändern hinüber. Er suchte verzweifelt nach Antworten und fürchtete sich doch davor, was er finden würde. Auf dem Weg fiel ihm ein Tisch aus rostfreiem Stahl auf, der ungefähr 90 Zentimeter lang war und an allen vier Ecken Riemen mit Schnallen hatte. Er stand direkt unter einer Abzugshaube, hatte eine flache Mulde, und in der Mitte sah Steele einen Abfluss, unter dem ein Eimer stand.
    Sie obduzieren die Affen, dachte er und blieb abrupt stehen. Hier lag vielleicht seine beste Chance, herauszufinden, was vor sich gegangen war. Genauso wie man in der Antike Eingeweideschau betrieben hatte, um die großen

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