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Der Unsichtbare Feind

Titel: Der Unsichtbare Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
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er wusste, dass Agriterre, ebenso wie die Mutterfirma Biofeed International, wirklich allem zustimmen würden, damit es so blieb. Der Gedanke an den Brief, den er aufgesetzt und in der Obhut seines Notars deponiert hatte – der im Falle seiner Verhaftung an Dr. Kathleen Sullivan geschickt werden sollte –, gab ihm ein Gefühl der Zuversicht, als er die Anlage verließ und sich zu dem Ort aufmachte, an dem Ingrid auf ihn warten würde.
    Der Bau der Kathedrale von Rodez war in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrtausends begonnen worden und hatte bis zur Vollendung vier Jahrhunderte gedauert. Sie war beinahe so groß wie Notre-Dame in Paris und beherrschte bis zum heutigen Tag die Stadt, die sich um sie herum entwickelt hatte. Selbst aus der Entfernung erschien das Bauwerk enorm groß, wie es dort auf einem sanft geneigten Hügel thronte und sich die Häuser und Werkstätten mit ihren kleinen, senkrecht aufsteigenden Schornsteinen um sie herum drängten wie Kinder um die Rockzipfel der Mutter.
    Er betrat den düsteren Innenraum und empfand diese erhabene Pracht als hochmütig und arrogant, dazu erschaffen, die demütigen Bittsteller einzuschüchtern, wenn sie zu den schwach erleuchteten Nischen und Winkeln und zu den Bögen der Decke hinauf schauten. Er erschauerte, als sich die feuchtkalte Luft auf ihn herabsenkte, bis sie wie ein klammes Leichentuch auf ihm lag und ihn in diesem Hause Gottes weit mehr auskühlte als die Kälte draußen. Das Licht, das er wahrnahm, stammte von hunderten von Kerzen, die überall flackerten – auf dem Altar, neben den Beichtstühlen und in den Dutzenden von Seitenkapellen, wo ein paar Menschen im Gebet versunken knieten. Die langen Reihen der Kirchenbänke im Mittelschiff waren leer, soweit er es erkennen konnte, denn sie reichten bis in die Dunkelheit im hinteren Teil der Kirche. Er ging durch das Seitenschiff bis zu diesem dunklen Teil, da er annahm, dass es dort sein würde, wo Ingrid sich verbarg. Seine Schritte hallten von den Steinplatten wider, die den Boden bildeten, und der Klang vermischte sich mit dem Murmeln der Gebete und gelegentlichem unterdrückten Husten.
    Sie hatte ihn immer vorgewarnt; wenn sie es jemals für zu unsicher halten würde, sich in seiner Wohnung zu treffen, würde er sie in der Kathedrale finden. »Das ist der ideale Ort, wo eine einzelne Person allein im Dunkeln sitzen oder zwei Menschen sich zusammensetzen und miteinander flüstern können, ohne dass es irgendjemand merkwürdig findet«, hatte sie ihm einmal ganz ernst erklärt. Er hatte es ziemlich melodramatisch gefunden, und doch begann er sich Sorgen zu machen, was sie an diesem Abend abgehalten hatte. Nicht weil er wirklich glaubte, dass sie in unmittelbarer Gefahr wären – das wäre die Konsequenz, wenn sie an die Öffentlichkeit ging –, sondern weil sie bei anderen Gelegenheiten ihre Anwesenheit in seiner Wohnung abgekürzt und auf den Sex verzichtet hatte. Dann nämlich, wenn sie befürchtete, dass man ihr gefolgt war.
    Heute Abend sollte sie besser nicht solch einen Mist bauen, dachte er und wurde plötzlich wütend. An einigen Abenden hatte er protestiert, als sie früher gehen wollte, und manchmal hatte sie sich erweichen lassen, aber darauf bestanden, dass sie wenigstens von seinem Wohnhaus wegbleiben sollten. Sie hatten es dann an abgelegenen Stellen getrieben – in Hinterhöfen, Parks, wo immer es Schatten gab –, und die Heimlichkeit schien sie noch mehr zu erregen. Während er sich an diese Zeiten mit ihr erinnerte, regten sich wieder seine Lenden.
    Er hatte ungefähr drei Viertel des Weges durch die Kirche zurückgelegt – eine Strecke von über hundert Metern –, als er an einer großen Wandnische hinter einem schmiedeeisernen Gitter vorbeikam, dessen Eingang offen stand. Der Raum dahinter war ziemlich groß und beherbergte hinten in einer Ecke einen großen, antiken Beichtstuhl, und in seiner Mitte standen ein Tisch und zwei Stühle. Hier war das Licht besonders trübe, und massive Säulen zu beiden Seiten verdeckten die Sicht auf den Rest der Kirche. Auf dem Schild über einem Opferstock stand Kapelle der Versöhnung.
    Genau so ein Ort, wie Ingrid ihn wählen würde, dachte er und ließ seine Hand auf den Eisenstangen ruhen, während er überlegte, ob er noch weiter im Kircheninnern suchen sollte. Aber alles, was er dort hinten im Schatten erkennen konnte, war eine Reihe hoch aufragender, alter, steinerner Grabstätten, deren Deckel lebensgroße Statuen trugen,

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