Der unsichtbare Feind (German Edition)
Doktor
Jonny nennen?“, fuhr er fort, während er sich den Rest der Nasenflüssigkeit mit
dem Handrücken aus dem Gesicht wischte.
Beide Männer lachten laut
auf, hoben die Dosen und leerten sie in einem Zug.
„Guckt mal da“, wandte sich
der Wandschrank an seine beiden Freunde.
Interessiert folgte Charlie
Wandschranks ausgestrecktem Zeigefinger und landete mit seinem Blick bei zwei
Fremden. Charlie mochte keine Fremden, keiner hier mochte sie. Es waren ein
Mann und eine Frau, vielleicht ein Paar. Der Mann trug ein abgewetztes
kariertes Sakko darunter ein löchriges T-Shirt.
„Gegen die könntest du glatt
als Zahnmodel durchgehen“, kicherte Charlie Jonny zu und deutete auf die Frau,
deren verfaulte Zähne schwärzer als der nächtliche Himmel waren.
Der fremde Mann ging zu
einem Jugendlichen, der gerade eine Zigarette in einem kegelförmigen
Aschenbecher ausdrückte, und griff ihn an die Schulter: „Hey du, hast du eine
Zigarette für mich?“
Erschrocken wich der junge
Mann zurück und ließ dabei seinen Rucksack fallen: „Tut mir leid, das war die
Letzte“, sagte er und deutete auf den überfüllten Aschenbecher.
Der Mann mit dem
zerschlissenen Sakko schnaubte laut auf: „Wenn du mir keine geben willst,
kannst du es auch gleich sagen!“
„Es tut mir leid, aber es
war wirklich meine Letzte!“, erwiderte der Jugendliche.
„Ist schon klar, nur weil
ich obdachlos bin, denkt ihr, ihr könnt mit mir machen, was ihr wollt. Ihr seid
doch alle gleich!“
Das Gesicht des jungen
Mannes lief blutrot an: „Ich würde Ihnen gerne eine Zigarette geben, wenn ich
eine hätte.“
Die Frau mit den verfaulten
Zähnen drängte sich zwischen die Beiden und zischte: „Verarschst du ihn?“
„Nein natürlich nicht“, wich
der Teenager erschrocken zurück und wäre dabei fast über seinen Rucksack
gefallen.
Charlie kicherte. Der in die
Ecke getriebene Junge erheiterte ihn ungemein. Wieder tat der junge Mann einen
Schritt zurück und nahm dabei eine gebückte Haltung ein. Die beiden Fremden
rückten unverdrossen nach.
„Also was ist jetzt?“, zischte
die Frau mit osteuropäischem Akzent erneut und senkte dabei ihren Blick auf den
Rucksack des Jugendlichen, der am Boden lag, „Was ist da drin?“
„Äh, nur meine Bücher und
Mitschriften von der Uni, sonst nichts.“
„Und du behauptest noch
immer, dass du keine Zigaretten hast? Ihr Studenten seid doch alle gleich!“,
drängte sich der Mann wieder in den Vordergrund.
„Hey was ist da los?“,
ertönte eine Stimme hinter ihnen.
„Jetzt wird es interessant“,
flüsterte Jonny.
Ein Polizeibeamter in
dunkelblauer Uniform und weißer Tellerkappe stapfte auf das obdachlose Paar zu:
„Lasst den Jungen in Ruhe oder ich werde euch Beine machen, klar?“
Der Obdachlose mit dem
zerschlissenem Sakko legte einen Arm um die Schulter des Studenten und grinste:
„Wir haben uns nur mit unserem Freund hier unterhalten, nichts weiter“,
zwinkerte er dem Jungen zu.
Der Polizist stemmte die
Arme in die Hüften: „Also los jetzt, lasst ihn gehen.“
Die beiden Obdachlosen taten
gemächlich einen Schritt zur Seite, dachten aber nicht daran zu verschwinden.
Charlie verfolgte gebannt
das Geschehen. Ungläubig riss er die Augen auf, als er sah, was gerade geschah.
Während sich der Student um seinen Rucksack bückte, verstellte die Frau dem
Polizeibeamten die Sicht. Dieses Zeitfenster nutzte ihr männlicher Begleiter
und glitt mit spitzen Fingern in die Hosentasche des Studenten. In
sekundenschnelle zog er eine Schachtel Marlboro aus der Tasche und steckte sie in
die Innentasche seines zerschlissenen Sakkos.
In schnellen Schritten nahm
der Student, der davon keine Notiz genommen hatte, den Abgang zur U-Bahn, ohne
sich ein weiteres Mal umzudrehen.
„Wenn ihr hier noch einmal
auffällig werdet“, sprach der Polizist mit erhobenem Zeigefinger, „dann kommt
ihr mir nicht mehr so einfach davon! Ihr beide widert mich an und ihr stinkt
nach Alkohol und Schweiß.“
Die Frau spöttelte
ungehalten in einer osteuropäischen Sprache, die Charlie nicht zuordnen konnte,
bis der genervte Beamte mit einer wegwerfenden Armbewegung resignierte und
weiterging.
Charlie war beeindruckt. Vor
den Augen eines Polizisten jemanden zu bestehlen erforderte Mut und Geschick.
Charlie nickte dem Pärchen anerkennend zu und bedeutete ihnen, näher zu kommen.
Der Mann mit dem karierten
Sakko musterte Charlie argwöhnisch und setzte sich dann mit der Frau in Bewegung.
Er entnahm der
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