Der unsichtbare Feind (German Edition)
dessen
Personalkarte ihn als Hans auswies, kratzte sich mit dem Zeigefinger am
Nasenrücken, wo die Naht seines Mundschutzes, der von der Klinikleitung
verordnet worden war, verlief.
Erschrocken fuhr er herum,
als ihm jemand an die Schulter tippte: „Hans“, sprach der Mann, dessen Gesicht
ebenso verhüllt war, wie das seine.
Hans erkannte seinen
Kollegen an den buschigen, schwarzen Augenbrauen, die über der Nase
zusammengewachsen waren und die Form eines in die Breite gezogenen „Y“
angenommen hatten.
„Was gibt’s Tom?“
„Wir sollen uns in der
Apotheke melden, es wird Tamiflu ausgegeben.“
„Alles klar ich komme
gleich.“
Tom nickte, lief den Gang
hinunter und händigte einem der Ärzte einen Infusionsbeutel aus. Stramm stand
Tom vor dem Arzt und lauschte den neuerlichen Anweisungen, die Hans bei dem
Geschnatter, das auf dem überfüllten Gang herrsche, nicht hören konnte.
„Bitte, Hilfe!“, stöhnte der
Patient auf dem Bett vor Hans.
Er trat an die Seite des Buben,
der darin lag, und strich ihm durchs halblange Haar: „Es wird gleich ein Arzt
bei dir sein, mach dir keine Sorgen.“
Hinter Hans öffnete sich
eine Tür und ein weiß gekleideter Mann mit fleischigen Lippen erschien im
Durchgang. Er nahm seine Brille ab und rieb sich die müden Augen. Seine
schlaffen Gesichtsmuskeln spiegelten Resignation und Unverständnis wieder.
„Doktor Wenzel“, rief Hans
und packte ihn am Arm, „da ist ein Junge, der dringend Ihre Hilfe braucht.“
Ausdruckslos wanderte der
Blick des Doktors über den PVC-Boden. Er schien kaum Notiz vom Pfleger zu
nehmen.
„Hören Sie“, beschwörte ihn
Hans, „er braucht Ihre Hilfe!“
Doktor Wenzel tat einen
Schritt zur Seite. Sein Blick verfolgte zwei Pfleger, die ein Bett aus dem Raum
rollten, den er gerade verlassen hatte. Das Gestell klapperte, als sich die
Räder über die Türleiste quälten.
Unter einem weißen Leintuch
zeichneten sich die Konturen eines menschlichen Körpers ab. Ein über den Kopf
eines Patienten geschlagenes Tuch bedeutete immer nur das Eine, ein Todesfall.
„Ist es …?“, fragte Hans mit
zittriger Stimme den Doktor, der noch immer auf das Krankenhausbett starrte,
während es den Flur hinuntergeschoben wurde.
„Ja“, sagte er ohne Hans
anzusehen, „Es ist der erste Tote. Der erste der an dieser Grippewelle gestorben
ist.“
Der Mann unter dem Leintuch
war gestern Abend hierhergekommen. Desorientiert hatte er sich bis zu einem der
Warteräume geschleppt, ehe er zusammengebrochen war. Die Ärzte hatten eine
schwere Grippe diagnostiziert, was nicht weiter ungewöhnlich gewesen war. Kurz
darauf brachte das Rote Kreuz eine weitere Person in die Ambulanz, wenige
Augenblicke später der nächste Fall. Seither strömten Patienten in Massen in
das Wiener allgemeine Krankenhaus.
Es schauderte Hans. Sie alle
verband eines – die gleichen grippeartigen Symptome und die heftige Reaktion
des Immunsystems. Ein plötzlicher Krankheitsbeginn mit Fieber und
Schüttelfrost, Kopfschmerzen und angeschwollenen Schleimhäuten. Nur wenige
Stunden später kam es zu starken Gliederschmerzen bis hin zu heftigen Krämpfen,
der Entzündung beider Lungenflügel und bei einem Teil der Patienten zu
Atemversagen. Die Anzahl weißer Blutkörperchen erwies sich bei Allen als
erschreckend niedrig. Im bisher letzten bekannten Stadium stieg das Fieber auf
über vierzig Grad Celsius an. Die Schleimhäute schwollen bis zur
Atmungsunfähigkeit an. Ab diesem Moment half nur noch Intubation. Die acht
Patienten, die von Phase drei bisher betroffen waren, lagen allesamt auf der
Intensivstation, wo sie mittlerweile in künstlichem Tiefschlaf gehalten wurden.
Hans schüttelte die Gedanken
ab und wandte sich wieder dem Doktor zu, der noch immer wie versteinert
dastand: „Doktor, was ist los mit Ihnen? Der Junge hier lebt noch, helfen Sie
ihm.“
Der Doktor wandte sich Hans
zu, fixierte ihn und deutete den Korridor hinunter: „Ich kannte den Mann,
dessen leblose Hülle gerade abtransportiert wird. Doktor Kasper war unser
Kollege und darüber hinaus ein sehr guter Freund von mir.“
Tanja verteilte mit dem
Zeigefinger schwarze Lebensmittelfarbe auf ihren Zähnen und grinste Stark an.
„Perfekt! Die sehen aus, als
hättest du sie seit drei Jahren nicht geputzt!“, bemerkte er.
Beide lachten herzhaft.
Stark hielt vor dem
Schaufenster eines Elektronikgeschäftes.
In der vom Vollmond
erhellten Nacht spiegelte sich Starks sportliche Figur in
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