Der unsichtbare Feind (German Edition)
entschiedenen Ton.
Tanja seufzte tief. Ohne den
Blick von der Wand zu nehmen, sagte sie zögerlich: „Es ist zwar
unwahrscheinlich, aber es besteht die Möglichkeit, dass du dich mit dem Virus infiziert
hast.“
Stark sah mehr verwirrt, als
erschrocken aus: „Ich dachte mit der Influenza steckt man sich über
Tröpfcheninfektion an.“
„Das stimmt, weil das Virus
nur in deinem Atmungstrakt entsprechende Zellen findet, die es befallen und für
seine Vermehrung nutzen kann. Wenn das Virus allerdings an einer anderen Pforte
in deinen Körper gelangt und von deinem Blutkreislauf zu deinem Atmungstrakt
befördert wird, also zum Beispiel in deine Lunge, dann kann es sich dort
festsetzen und vermehren.“
Tanja holte tief Luft, bevor
sie weitersprach, „nach meinen bisherigen Tests und der rasant steigenden
Neuinfektionen in der Bevölkerung, würde ich das Virus als extrem aggressiv
einstufen.“
Tanja trat an Stark heran
und rieb ihm einfühlsam über die Oberarme: „Eine Ansteckung in deinem Fall ist
extrem unwahrscheinlich. Außerdem habe ich deine Wunde sofort desinfiziert. Ich
glaube nicht, dass du dir Sorgen machen musst.“
Tanja lächelte Stark gequält
zu.
Stark konnte nicht sagen, ob
es Verzweiflung oder Hoffnung war, was er in ihren Augen lesen konnte.
„Falls es mich doch erwischt
hat“, sein Blick streifte das Pflaster an seinem Finger, „wie viel Zeit würde
mir bis zum Auftreten erster Symptome bleiben?“
„Gabriel ich weiß zu wenig
von diesem Virus, als das ich dir diese Frage beantworten könnte.“
Stark sah sie für einen
Moment streng an: „Eine Schätzung würde mir völlig reichen.“
Tanja seufzte: „Ich gehe
davon aus, dass eine infizierte Person nach vierundzwanzig Stunden ansteckend
ist. Die ersten Symptome treten wahrscheinlich erst ein paar Stunden später
auf.“
Stark nickte: „Also gut, das
wird sportlich, aber machbar! So wie es aussieht, müssen wir als Nächstes den
Eigentümer des Koffers finden. Ich kenne jemanden der uns dabei helfen kann“, sagte
er im Brustton der Überzeugung.
Und ganz nebenbei, so dachte
er, war Jonny auch hier gewesen, ohne sich anzustecken.
Kapitel 23
Obwohl sie die Müdigkeit,
nach dem beschwerlichen Weg aus der Kanalisation, fast übermannt hätte, war es
Tanja gewesen, die Starks Bekannten noch in derselben Nacht kontaktieren hatte
wollen. Noch immer in die zerschlissene Kleidung aus dem Altkleidercontainer
gehüllt, hatten sie sich auf den Weg gemacht.
Stark öffnete das in den
Maschendrahtzaun eingelassene Tor, das das Grundstück begrenzte, und betrat den
aus Waschbetonplatten bestehenden Weg. Hinter weißen Kunststofffenstern gähnte
nächtliche Schwärze, mit Ausnahme eines einzigen Fensters im Dachgeschoss, aus
dem gedimmtes Licht nach außen drang. Wenige Meter vor der Haustür ging mit
einem klack die sensorgesteuerte Außenbeleuchtung an. Tanja sah sich auf dem
Grundstück um. Wild wachsende Hecken und Sträucher säumten den Bereich um das
Haus. Eine verdörrte Wiese, durchzogen mit frischen Maulwurfshügeln
beanspruchte den Rest des Grundstückes. Unsicher trat Tanja auf die knarrende
Treppe der Veranda, die zu ihrer Erleichterung stabil auf dicken Holzpfosten
ruhte. Noch immer lagen ihr die Ereignisse der letzten Stunden flau im Magen
und Holztreppen waren etwas, das sie gerne für eine sehr lange Zeit meiden
würde.
Vor der Verandaüberdachung
hing stumm ein Windspiel, das in der warmen Sommernacht karg und leblos wirkte.
Stark ging zielsicher zur
Tür und drückte die Klingel durch. Ein schrilles Surren ertönte im Hausinneren.
Oberhalb der Klingel prangte ein ankorrodiertes Schild, das die Aufschrift
„Hasler“ trug. Nach kurzem Zuwarten betätigte Stark erneut die Klingel, diesmal
länger. Tanja hörte Schritte, die über eine Treppe ins Erdgeschoß polterten.
„Was soll die Scheiße“,
hörte sie jemanden fluchen, „hört bloß auf zu klingeln um diese Zeit!“
„Wenn das …“, fluchte die
Person erneut und drehte den Schlüssel im Schloss. Der Öffner schnellte nach
unter und mit einem Ruck wurde die Tür aufgerissen: „… die verfluchten Zeugen
Jehovas sind, dann könnt ihr was …“
Als der untersetzte junge
Mann Stark in der Tür stehen sah, verharrte er wortlos in der Bewegung.
„Hallo Manuel“, sagte Stark,
während er von einem Ohr zum anderen grinste, „willst du uns nicht reinbitten?“
Nervös sah sich Manuel nach
allen Seiten um. Sein Blick suchte Veranda und Garten, bis hin zum
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