Der unsichtbare Killer
zu verletzlich, als dass sie es ertrüge, wenn eine Freundin ihre dummen Illusionen zerschmetterte. Vielleicht war es das lächerliche Szenario mit dem weißen Ritter, das ihr die Kraft gab, alles lächelnd durchzustehen. Obwohl Angela es bezweifelte – Olivia-Jay war einfach ein bisschen zu ungehemmt im Bett, als dass es den Eindruck zu erwecken vermochte, sie müsse sich bei der ganzen verrückten Routine irgendwie echte Mühe geben.
Bartram schien es zu glauben. Zumindest hatte er sie nie zur Rede gestellt. Andererseits würde es Bartram auch nichts ausmachen. Das hätte vorausgesetzt, dass er sich mit seinen Freundinnen befasste und Interesse an ihnen zeigte. Mark-Anthony hatte jedoch absolut klargestellt, dass es keinen echten Kontakt geben würde. Mit dem Rückzug in das Milliardärs-Herrenhaus hatte Bartram sich eine ganz bestimmte Phantasie erschaffen, in der Freundinnen sich dekorativ in seinem Wohnzimmer drapierten, oder im Esszimmer oder in der Poolanlage oder im Schlafzimmer. Sie waren dazu da, um die Ausstattung und die großartigen Kunstwerke zu ergänzen – und um zu ficken, wenn es ihnen gesagt wurde. Wenn Bartram mit ihnen diskutierte, ging es um Politik, Musik, Medizingeschichte, Marktwirtschaft und Sport – ganz besonders den englischen Erstliga-Fußball. Deshalb rekrutierte man die Mädchen immer an Universitäten, damit sie bei den Gesprächen mithalten und sogar eine eigene Meinung von sich geben konnten. Karah war überraschenderweise Studentin der Genetik im ersten Jahr und hatte ein Stipendium an einer medizinischen Eliteuniversität fest im Blick, das vertraglich als letzter Bonus abgemacht worden war; Lady Evangeline, eine glühende Politikstudentin und Vorzeige-Linke, würde eines Tages GE-Kommissarin sein, wenn sie nicht vorher den Niedergang des gesamten korrupten Establishments bewirkte; Coi, die Finanzanalystin mit dem nano-scharfen Verstand, deren Net-Linsen-Gläser von morgens bis abends nur so vor Ziffern wimmelten, war dazu bestimmt, ein nationales Schatzamt oder eine transstellare Bank zu leiten. Es war daher Olivia-Jay, die sich als musikalisches Wunderkind erwies und in der Lage war, auf dem antiken Steinway-Flügel in der Lounge im siebten Stock mit einer Virtuosität zu spielen, die Angela gleich beim ersten Mal verblüffte. Sie war genauso begabt mit der Gitarre, aber ihr wahres Talent war eine Stimme, die so weich und rauchig war wie zwanzig Jahre alter Maltwhisky. Damit war Angela die Rolle des sportlichen Wildfangs zugefallen: Sie kannte jeden Spieler der League One – seinen Club, seine Position, seine Form während der letzten paar Spielzeiten –, und sie konnte stundenlang darüber diskutieren, welche Aufstellung Trainer benutzen sollten und welche nicht. Sie hatte Monate gebraucht, um sich alte Spiele anzusehen, sich Ergebnisse einzuprägen, Spieler, Trainer, den Klatsch der League One; jetzt konnte sie mit den besten von ihnen über Fußball sprechen. Man konnte eine Hure sein, und man konnte sich auch einfach nur klein machen – aber es hatte sich ausgezahlt. Offensichtlich war die Position der Fußball-Freundin eine Weile nicht besetzt gewesen. Das Erste, was Bartram gesagt hatte, als Marc-Anthony sie einander vorstellte, war: »Dann erklär mir mal die Abseitsregel.«
Der Jaguar bog auf den Parkplatz hinter Velasco Beach ein. Es war früh am Nachmittag, der von Süden kommende Wind und die in Konjunktion stehenden Schäfer-Möndchen ließen den Ozean ziemlich ansteigen. Angela und Olivia-Jay standen auf der neuen Promenade hinter dem Sandstrand und sahen den Surfern beim Wellenreiten zu.
»Kannst du das?«, fragte Olivia-Jay, die ein vollkommen sehnsüchtiges Gesicht machte, seit sie die schlanken Gestalten in ihren Surfanzügen betrachtete.
»Ich habe es schon länger nicht mehr ausprobiert«, gestand Angela. »Ich bin ziemlich aus der Übung.«
»Bringst du es mir bei? Wir könnten uns ein paar Boards zum Herrenhaus liefern lassen.«
Angela hatte gewusst, dass ihre Antwort so ausfallen würde. »Ich denke, das könnten wir.«
»Oh, danke!« Olivia-Jay umarmte sie stürmisch und gab ihr einen Kuss.
Angela küsste sie zurück und lächelte über die schlichte Fröhlichkeit des Mädchens.
»Ich weiß nicht, was ich ohne dich tun würde.«
»Du würdest überleben.« Angela legte dem Mädchen einen Arm um die Schultern. »Komm jetzt. Versuchen wir, das Beste aus unserer freien Zeit rauszuholen.«
Sie spazierten in den schmalen Straßen der alten
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