Der unsichtbare Killer
Handbewegung fort. Angela stand auf und ging zur Kabine der Belegschaft im hinteren Teil des Flugzeugs. Während des gesamten Flugs sprach niemand auch nur ein einziges Wort mit ihr.
Also sah Shasta Angela sehr wohl wieder. Auch wenn man ihr zugute halten musste, dass sie Wort hielt und nicht mit ihrer ehemaligen Freundin sprach. Nachdem sie weitere vierundzwanzig Stunden auf dem Anwesen von Prinz Matiff gefeiert hatte, kehrte sie nach Hause zurück und fand ihren Vater beim Frühstück im Morgenzimmer des Palastes vor. Er saß allein am Tisch, aß langsam und genoss jeden Bissen, als wäre es sein letzter.
Angela stand seelenruhig zwei Schritt hinter seinem reich geschnitzten Stuhl; sie trug, was während der Dauer ihres Vertrages ihre typische Kleidung sein würde: ein im Nacken zusammengebundenes Top und eine bauschige Hose aus gazeartigem Stoff. Die Dienerinnen ignorierten sie, als sie Bantri frische Teller brachten und ihm aus einer silbernen Kanne Kaffee einschenkten. Genau genommen ignorierten sie auch alle anderen im Palast. Es war ihr nur recht so.
Shasta kam ins Morgenzimmer und gab ihrem Vater pflichtbewusst einen Kuss, auch wenn sie ganz offensichtlich wütend auf ihn war. Sie tauschten ein paar Freundlichkeiten aus, bevor sie verkündete, dass sie eine Woche lang im Bett bleiben würde, um sich zu erholen. »So gut war es.«
Sie ging weg, hielt nur kurz inne, um Zentimeter von Angelas Gesicht entfernt ihr eigenes hochmütig zu recken. Mit finsterem Gesicht stapfte sie wortlos davon, um sich in ihren eigenen Flügel des Palastes zu begeben. Wie ein erbärmliches, armseliges Kleinkind, das nicht bekam, was es wollte. Weder sie noch Bantri bemerkten das sanfte verächtliche Lächeln, das Angelas Mundwinkel für einen Moment hob.
Drei Wochen später brach Bantri zu einer weiteren Geschäftsreise – zunächst nach Indien – auf. Er verbrachte die Hälfte des Jahres fern von New Monaco, inspizierte sein Imperium und hielt Meetings mit Managern und Finanziers ab oder bewirtete Politiker und Bürokraten. Angela kannte seine Gewohnheiten sehr gut – als Kind hatte Shasta sich ständig beklagt, dass Daddy nie da war.
Wie es allgemein gehandhabt wurde, winkte man Bantris Gefolgschaft rasch und höflich durch die Kontrollen des Gateways von New Monaco. Angela wartete geduldig, bis sie ihr Fünf-Sterne-Hotel in Mumbai erreichten. Als Bantri schlief, nahm sie ihre Kulturtasche aus dem Handkoffer und verließ das Hotel.
Zehn Stunden lang bemerkte niemand in der Gefolgschaft, dass sie nicht da war. Wie auch – sie war mit niemandem befreundet.
In den ersten achtundvierzig Stunden, nachdem klar geworden war, dass sie ihren Patron verlassen hatte, rief Tariq mehrmals ihre Transnet-Adresse an. Zuerst stellte er Fragen, dann stieß er Drohungen aus. Mit dem letzten Anruf teilte er ihr mit, dass der Vertrag nun offiziell ungültig und ihre indische Staatsbürgerschaft widerrufen worden war. Ihr neues Bankkonto war eingefroren worden, und es würde eine Klage eingereicht werden, um all das Geld von ihr zurückzubekommen, das bereits gezahlt worden war.
Es spielte keine Rolle; mit dem Geld, das Angela für diese drei Wochen erhalten hatte, hatte sie sich bereits das Ticket für einen Hinflug (Standardklasse – Himmel!) nach New York gekauft. Als Tariqs erster Anruf kam, stand sie in der Morgendämmerung im Central Park und lächelte die herrlichen alten Gebäude an.
Sonntag, 17. März 2143
Eine strahlende Sonne an einem wolkenlosen Himmel bescherte den feuchten Straßen von Newcastle eine ruhige Wärme. Die Nacht war vorüber und der Regen hatte sich verzogen; zurück blieb eine Frische, die endlich den Rückzug des strengen Winters ankündigte. Sid fuhr die kurze Strecke von Jesmond zur Arevalo Medical’s Royal Victoria Infirmary. Für das Fundament der neuen onkologischen Klinik war ein Großteil des alten Parkplatzes tief ausgeschachtet worden, aber am Sonntagmorgen um acht Uhr brauchte er sich keine allzu großen Sorgen darum zu machen, auf dem noch verbliebenen Teil einen freien Platz zu finden.
In der Eingangshalle hatte ein Wohltätigkeitsgeschäft geöffnet, und Sid kaufte einen Blumenstrauß und eine große Schachtel Pralinen. Seine E-I führte ihn durch das Gewirr der Gänge, die den weitläufigen Komplex miteinander verbanden, und nach ein paar Minuten gelangte er zum Hadley-Block. Tilly Lewsis lag in einem Einzelzimmer im siebten Stock.
Sie lächelte, als er an die halb geöffnete Tür klopfte.
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