Der unsichtbare Killer
jemand nach dem Riss ausgestiegen ist, um von dem Geld in Saus und Braus zu leben.«
Sid sagte nichts dazu, aber was er dachte, stand auch in den Gesichtern aller anderen. Wenn der Freie Binäre, der das hier geschrieben hatte, so gut war, würde er nicht auf irgendeiner DCIS-Liste stehen, und es würde ihm auch klar sein, dass er das Geld nicht in Umlauf bringen durfte. Aber zu versuchen, irgendwelche Tatsachen aus dem Transnet zu ziehen war eben so, als wollte man versuchen, Suppe mit der Gabel zu essen. »Danke. Ian?«
»Ernie war gut, das muss ich ihm lassen. Wir haben ein Nebenkonto gefunden, das er für die Autowerkstatt benutzt hat; eine Menge ordentlicher Autos wurden legal für wenig Geld verkauft, um die Autolizenzsteuer auf ein Minimum zu beschränken, während der Differenzbetrag zum tatsächlichen Wert über eine Einzahlung auf ein Nebenkonto beglichen wurde. Das ist Standard-Kram. Aber es wirkt, als würde er die Warnblinkanlage anschalten, um zu zeigen, dass er ein ganz normaler Gebrauchtwagenhändler ist. Bis jetzt haben wir keine weiteren Nebenkonten gefunden.«
»Lorelle?«
»Auf seiner Kontaktliste stehen viele Namen, aber es gibt keine Überschneidungen mit bekannten Red-Shield-Mitgliedern. Ich stimme Ian zu, er hat einen digitalen Geist, den wir noch nicht aufgespürt haben, und wenn seine E-I nicht zusammenbricht, werden wir ihn vermutlich auch nie finden.«
»Sieht so aus, als wären wir auf Ralphs Verhör angewiesen, was unsere Informationen betrifft«, sagte Sid. »Dedra?«
Dedra Foyster warf Aldred einen verschlagenen Blick zu. »Alle Alibis wurden bestätigt. Keiner der neun Norths, die in St James eine Wohnung haben, hat unser Opfer getötet. Für die Anschlussdaten, die du mir gegeben hast, brauche ich noch etwas mehr Zeit. Bisher bin ich ziemlich sicher, was fünf Norths betrifft; keinerlei Veränderungen in ihrem Verhalten, keine plötzlichen Urlaube oder arbeitsfreien Zeiten, keine Gedächtnislücken. Jeder, der sie kennt, sagt, dass sie die Gleichen geblieben sind.«
Sid fragte sich, ob sie Aldreds Anschlussdaten bereits überprüft hatte. Würde er einer der Leute sein, die sie gefragt hatte? Er unterdrückte ein Grinsen. »Abner?«
»Wir stehen kurz davor, es in die Zone zu bringen, Chef. Die KI macht einen letzten Durchlauf in Sachen Mesh-Memory-Zusammenhang.«
»Schön. Ich gehe mit dir rein.«
Isoliert betrachtet, war St James-Singletown nicht gerade aufregend. Es gab eine große Kuppel in der Mitte mit den Geschäfts-Bereichen sowie fünf Wohntürme, die jeweils unterschiedlich waren: ein verdrehter Turm, eine gestreckte Pyramide, ein gedrungener Wachturm, ein seltsamer schmaler Turm, der aussah, als wäre er von anderen Wolkenkratzern – die jetzt fehlten – an seinen Standort gequetscht worden, und der lebende Kugelstapel, dessen äußere Oberflächenstreifen zwischen den Fenstern aus Büschen und Kletterpflanzen bestanden. Als Sid oberhalb der Projektion des Gebäudes im Immersionstheater stand, spürte er, dass man die Architektur-Software, die benutzt worden war, um es zu erschaffen, ohne jede Beteiligung von Menschen hatte laufen lassen – es fehlte deutlich an Ambitionen und Visionen. Baue groß und beeindruckend, aber versuche nur nichts Neues.
Er war es natürlich gewohnt, das Ding in Natura zu sehen – es befand sich auf der anderen Seite der Barrack Road gegenüber vom St-James-Stadion, in dem er viele Samstagnachmittage entweder jubelnd oder niedergeschlagen verbracht hatte, als Newcastle United mit furchtbarer Monotonie in Liga Eins aufgestiegen und wieder abgestiegen war.
»Dehnt es so weit aus, dass es fast den ganzen Boden ausfüllt«, sagte Sid. »Aber lasst einen fünfzig Meter breiten Rand stehen. Wir müssen jeden sehen, der rein und raus geht.«
Reannah änderte im Kontrollraum die Parameter der Projektion. Sid und Abner sahen zu, wie sich die Singletown vor ihnen ausbreitete.
»Bring mich zum 10. Januar zurück, Donnerstag um Mitternacht. Und hebe alle Eingänge hervor: öffentliche Türen, Türen für Mitarbeiter, Warenanlieferungsrampen, Garageneinfahrten, Notausgänge, Zugangsluken zu den Versorgungsleitungen. All so was.«
Die Straßen vor seinen Füßen wurden dunkler, während das Scheinwerferlicht der Fahrzeuge, die auf ihnen entlangfuhren, auf die schneebedeckte Oberfläche fiel.
»Was suchen Sie?«, fragte Aldred. Er drückte sich an das Fenster des Kontrollraums und starrte auf das Immersionstheater hinab.
Sid und Abner
Weitere Kostenlose Bücher