Der unsichtbare Killer
verlor sich ein paar Meter weiter im Schnee.
Forster, der neben ihr auf dem Fahrersitz saß, lenkte den Tropic allein mithilfe der Net-Daten, indem er sich mit der Position der anderen Fahrzeuge und den Angaben des Trägheitsnavigationssystems abstimmte. Irgendwo weiter vorn lenkte Elston den MTJ-1. Angela wusste, warum er weiterfahren wollte, aber offen gesagt grenzte es an Vermessenheit, unter diesen Bedingungen weiterzumachen.
»Wir sollten anhalten«, sagte Paresh hinter ihr. »Bei dieser Geschwindigkeit werden wir irgendwann an der Wand dieser verfluchten Schlucht landen.«
»Dann stoßen wir eben an und setzen zurück«, sagte Angela. »Das ist immer noch besser als einen Wasserfall hinunterzustürzen, wie ich es fast vollbracht hätte.«
»Wir können uns den Treibstoff für einen Halt nicht leisten«, sagte Ken. Er hatte den letzten Platz in ihrem Tropic bekommen, nachdem die Comm-Rakete am vergangenen Abend abgeschossen worden war und Elston die überlebenden Mitglieder des Konvois neu auf die Fahrzeuge aufgeteilt hatte.
Angela äußerte sich nicht zur Treibstoffsituation. Sie machte sich allmählich Sorgen, ob sie diesem an Sarvar vorbeiführenden Nebenfluss des Zell auch nur annähernd nahekommen würden. Bis sie Ravis optische Aufzeichnung seines Kampfes gegen das Monster gesehen hatte, hatte sie darüber nachgedacht, es Karizma nachzumachen und einen Tropic zu nehmen, um mit Rebka nach Wukang zurückzufahren. Das hatten die Bullpeitschen jetzt unmöglich gemacht. Dann war die Comm-Rakete umgeben von Flammen und Rauch abgeschossen worden und innerhalb einer einzigen Sekunde in den Wolken und im Schnee verschwunden. Nur dreißig Sekunden danach hatte Ken den Kontakt mit ihr verloren. Die letzten Daten, die das Netz des Konvois empfing, bevor die Rakete hinter der Wand der Schlucht verschwand, hatten ihnen einen Einblick verschafft, wie dick und dicht und chaotisch die Wolkenschicht über der Schlucht war. Sie war nicht schwer genug, um der Rakete zu schaden, behauptete Ken, und daher würde sie ihre ballistische Kurve über der Atmosphäre vollenden können. Trotzdem wussten sie nicht, ob die Botschaften Abellia überhaupt erreicht hatten. Sie konnten nur hoffen, dass – sofern das Signal durchgekommen war –, die von Ravi eingefangenen Bilder genügten, um die HDA dazu zu bringen, eine Rettungsmission loszuschicken oder wenigstens Vorräte abzuwerfen.
In dieser Ereigniskette gab es für Angela zu viele Möglichkeiten. Sie hatte die Nacht zum größten Teil wach neben Paresh verbracht und über einem Plan gegrübelt, wie sie sicherstellen konnte, dass sie und Rebka diese Sache überlebten. Da sie nicht vorhatte, alle anderen in der Schlucht zurückzulassen und mitsamt Vorräten und Treibstoff abzuhauen, würde nichts von dem, was ihr dann noch zu tun offenstand, irgendetwas bewirken. Es blieb ihr also gar nichts anderes übrig, als Elstons Plan, so dicht wie möglich an Sarvar heranzukommen, zu akzeptieren und zu hoffen, dass die Notmannschaft noch immer eine Berlin fliegen konnte, um sie rauszuholen. Das war nicht viel, wenn man bedachte, dass ihr Leben davon abhing. Für sich betrachtet, hätte sie das sogar fast noch ertragen können; unerträglich war jedoch, dass sich Rebka in der gleichen hoffnungslosen Situation befand. Sie suchte verzweifelt nach irgendeiner Handlungsoption, die etwas verändern würde. Was das sein könnte, erwies sich allerdings als beunruhigend schwer fassbar.
Ein purpurnes Icon schimmerte behaglich in ihrem Koordinatennetz. Rebkas Positions-Icon, das allen verriet, dass die schüchterne, aber doch erstaunlich zähe Madeleine Hoque zusammen mit Garrick, Darwin und der armen alten weinerlichen Lulu MacNamara im Tropic-3 fuhr. Es war Angelas persönlicher Hoffnungsschimmer.
Ein helles, gelbes Licht flackerte draußen auf. Angela wusste augenblicklich, dass das kein Blitz war, denn es verschwand nicht. Dann brach das Geräusch über sie herein; ein Stoß, der den Tropic mehrere Meter durch den Schnee schob. Drei Seitenscheiben bekamen Risse, eine zerbrach komplett. Kristalline Scherben aus gehärtetem Glas regneten in einer Kaskade auf Paresh herab. Eiskalte Luft heulte durch das Fahrzeug und saugte die Wärme in Sekundenschnelle auf. Forster trat hart auf die Bremse, und sie kamen abrupt zum Stehen.
Angela reagierte ein paar Sekunden nicht, sie war zu benommen, um irgendetwas zu tun. Die anfänglich über sie hinwegschwappende Angst wurde rasch durch fieberhafte Sorge
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