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Der unsichtbare Kreis

Der unsichtbare Kreis

Titel: Der unsichtbare Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
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aufmerksam werden ließ. Kannten sich die beiden besser, als Lare zugegeben hatte? Bailey zögerte. Es hatte fast den Anschein, als würde er auf Lare hören. Katten lauerte. Er hatte Bailey stets nur unbeeinflußbar erlebt.
»Geht«, sagte Bailey heiser.
Katten musterte sein energisches, unbewegtes Gesicht. »Du bist ein glatter Hund, Bailey.«
»Lauft zu den anderen«, entgegnete der unbeeindruckt. »Da gehört ihr hin.« Er wandte sich ab und verschwand in einem Seitengang. Einen Moment noch sahen sie seinen Schatten.
»Ein bißchen viel«, sagte Katten. »Ich hab’ ihm allerhand zugetraut.«
»Bist du überrascht?«
»Ein bißchen. Du nicht?«
»Nein.« Es klang endgültig wie ein letztes Wort.
»Du kennst ihn?«
»Nicht länger als du.« Sie begegnete seinem Blick ohne Scheu.
»Eigenartig«, murmelte er. »Welcher ist der richtige Bailey, der da oder der andere.«
»Es gibt keinen richtigen«, erwiderte Lare. »Es gibt ihn niemals. In keinem Fall.«
»Warst du verliebt in ihn?« fragte Katten.
»Nein«, entgegnete sie. »Ich habe einmal mit ihm geschlafen.«
Er sah den Gang entlang, irgendwohin. »Ich habe ihn bewundert.«
»Das ist normal«, erwiderte sie kurz. Dann ergriff sie seine Hand.
Sie folgten den anderen. Der Gang war längst leer. Aus den Kopfhörern drangen unverändert laut Lachen und amüsierte Zurufe, schließlich von Musik übertönt.
Katten war froh, nicht dabeizusein. Die Musik erschien ihm dissonant und aufdringlich, dabei mochte er sie. Er wollte mit Lare allein sein. Doch es wäre in ihrer Situation Leichtsinn gewesen, die Lautstärke ihrer Empfänger zu verringern.
»Was hast du?« fragte Lare. »Ist es wegen mir?«
Ohne daran zu denken, daß sie es nicht sehen konnte, zuckte er die Achseln. »Sind das erwachsene Menschen?« Er hatte es leichthin sagen wollen, aber es klang ernst und unnachsichtig.
»Ihnen fehlt das Gefühl für die Situation«, entgegnete Lare. »Wann haben sie schon Gefahr kennengelernt? Sie glauben’s einfach nicht.«
»Du entschuldigst das?«
In ihren Augen lag ein verstecktes Lächeln.
»Sie müssen Zeit totschlagen. Zeit totschlagen!« Er musterte sie zornig, als wäre sie daran schuld.
Sie durchschritten schnell die Zentrale. Am Fuße der Treppe fragte Lare: »Und wenn der Kreisel nicht rechtzeitig kommt?«
Katten sah sie erstaunt an. »Warum sollte er nicht?«
»Es könnte sein.«
»Das ist doch absurd.«
»Und wenn?« beharrte sie.
»Wir haben für mehr als drei Stunden Sauerstoff.«
»Und dann?« In ihren Zügen zeigte sich eine eigenartige, reizvolle Widersprüchlichkeit: Die Augen ungewöhnlich geweitet, mit ängstlichem Leben erfüllt, das Gesicht wie erstarrt.
Er ertrug diesen Ausdruck nicht und drehte den Kopf weg. An der Wand spiegelten sich die Reflexe seines Scheinwerfers. Nur aus den Augenwinkeln sah er noch den Schatten ihres Gesichts.
»Und dann?« wiederholte sie.
Ihre Stimme bewegte seinen Kopf mit eiserner Hand.
Im Licht des Scheinwerfers wirkte ihr dunkles Gesicht durchscheinend, zerbrechlich fast, als benötige das winzige Zittern der Lippen ihre ganze Kraft. Es erstaunte ihn, daß es solch ein Gesicht gab. Es hatte Ähnlichkeit mit dem Bild seiner sehnsüchtigen Phantasie, als er im Kreisel nach ihr suchte. Es gehörte der aus Furcht und blinder Beklemmung entstandenen Vision, auf immer von ihr getrennt zu sein. Jetzt glich sie jenem Wunschbild.
»Sie dürfen nicht länger tanzen«, sagte er müde, »dann reicht der Sauerstoff länger.«
»Wo ist Bailey?«
Katten blickte zurück in den Gang. »Er ist weg. Bailey, melde dich! Wo steckst du?«
»Bist du’s, Katten?« kam Baileys Stimme.
»Wo bist du?«
»Tut nichts zur Sache.«
»Du mußt…«
»Hab’ mitgehört«, unterbrach Bailey ihn. »Versuch’s, sie zu überzeugen.«
»Auf dich hören sie.«
Bailey lachte kurz und spöttisch. »Vielleicht! Wenn ich ihnen nicht den Spaß versaue.«
»Bailey…!«
»Versuch’s. Viel Spaß.«
»Mach doch keinen Quatsch!«
Bailey antwortete nicht mehr.
Von Lare gefolgt, hastete Katten die Treppen hinauf.
Es gelang ihm erst nach mehrfachem Anlauf, sich Gehör zu verschaffen. Der Musikbesitzer stellte mit einer verdrossenen Bemerkung sein Gerät ab. Dreißig Gesichter wandten sich Katten zu, ungehalten über die Störung. Katten begann die Situation zu erläutern. Ehe er fertig war, rief einer spöttisch: »O si tacuisses, philosophus mansisses!«
Eine Stimme sagte gelangweilt: »Magnifizenz machen sich in die Hosen. In einer Stunde ist der Kreisel wieder da.

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