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Der unsichtbare Kreis

Der unsichtbare Kreis

Titel: Der unsichtbare Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
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stocknüchtern. Allein, die Fähigkeit, Wein zu genießen, kam mir plötzlich banal vor. Eine rote oder gelbe, aus undefinierbaren Molekülgruppen zusammengesetzte Flüssigkeit schmatzend in sich hineinzuschlürfen und dadurch angenehme Empfindungen auszulösen – geradezu widerlich!«
»Hast du’s mit Essen versucht?« fragte Pickett mitfühlend.
»Da war’s noch schlimmer. Stell dir vor, braune, klumpige Fetzen Fleisch in sich hineinschlingen, Muskelfasern, Eiweißmoleküle, mit Salz und sogenannten Gewürzen präpariert – schauderhaft!«
Babakoff grinste. »Es hatte dich erwischt, wie?«
Trifon nickte kummervoll. Er nahm einen Schluck aus seinem Glas und fuhr fort: »Ich befand mich bereits jenseits der Venusbahn, hatte alle Möglichkeiten ausprobiert und sah keinen anderen Ausweg mehr, dem Anblick der zum Frontschirm hereinglotzenden Sonne und meiner Philosophiererei zu entgehen, als den Unterhaltungsschirm in Betrieb zu nehmen. Zu allem Übel geriet ich in die Sendung für den Kosmonauten, schlief aber zum Glück über einer Folge der ›Bunten Rakete‹ ein.«
»Hoffentlich wird deine Geschichte interessanter als diese Sendung«, nörgelte Pickett. Er war der anerkannt beste Geschichtenerzähler der Runde und manchmal etwas eingebildet.
»Es ist eine wahre Geschichte«, sagte Trifon mit Nachdruck.
Carson gähnte. »Aber auch entsprechend langweilig.«
»Und stinkmoralisch!« rief Babakoff.
Booster hob den Zeigefinger. »Hört, hört, Freunde, der untadelige Commander Trifon trinkt im Dienst, versäuft die Ladung. Das allein ist die Geschichte wert.«
»Prost«, sagte Trifon ungerührt und trank in kleinen Schlucken. »Als ich am nächsten Morgen erwachte, war noch immer irgendeine blödsinnige Unterhaltungssendung im Gange. Ich rappelte mich hoch, duschte, frühstückte – und fühlte mich ausgezeichnet. Das Ende der Reise war bereits abzusehen, und ich freute mich eigentlich auch, wieder einmal auf dem Merkur zu sein; ich war lange nicht dort gewesen, und es ist immer ein Erlebnis.«
Man nickte zustimmend.
»Als ich in die Zentrale zurückkehrte, stellte ich fest, daß offenbar Sendepause war: Der Unterhaltungsschirm war tot. Nicht traurig darüber, wollte ich mich eben den letzten Kurskorrekturen widmen, als der Kybernet Alarmstufe I gab. Automatisch fiel mein Blick auf den Frontschirm – mir gefror das Blut in den Adern.«
Trifon legte eine quälende Pause ein. Triumphierend sah er in erwartungsvoll gespannte Gesichter, genoß das atemlose Schweigen.
»Direkt auf meinem Kurs nähert sich eine Fliegende Untertasse, wie sie im Bilderbuch steht.«
Trifon musterte seine Zuhörer, doch nirgends zeigte sich eine Spur von Unglaube oder Spott. Als sollten sie von ihm das Geheimnis des ewigen Lebens erfahren, hingen sie an seinen Lippen. Zufrieden rieb sich Trifon das Kinn.
»Sie sieht genauso aus, wie von Phantasten immer beschrieben: kreisförmig, flach wie ein Diskus, in der Mitte eine kuppelförmige Erhebung. Sie mißt einhundertfünfundzwanzig Meter im Durchmesser, ist dreißig Meter dick und rast mit unglaublicher Geschwindigkeit auf meinen biederen Transporter zu. An Ausweichmanöver ist nicht zu denken. Es gibt nur eins: aussteigen! Nach den Berechnungen des Kyberneten bleibt dazu gerade noch Zeit. Ich aber verharre vor dem Schirm wie hypnotisiert, in der naiven Hoffnung auf ein Wunder.
Was hat man nicht alles gelesen über den phantastisch hohen Entwicklungsstand der UFO-Zivilisation: hakenschlagen wie Kaninchen, Stoppen von Lichtgeschwindigkeit auf Null. Nichts dergleichen. Die Scheibe hält auf mich zu, ohne von ihrem Kurs nur eine Lichtsekunde abzuweichen. Sie scheinen einfach keine Notiz von mir zu nehmen. Mir bricht der kalte Schweiß aus, noch nie bin ich so schnell in meinen Anzug gestiegen. Der Weg zur Havarieschleuse erscheint mir endlos. Erschöpft taumele ich in die Kabine der Rettungskapsel. Mir zittern die Hände, keuchend zähl’ ich die Sekunden bis zum Start.«
»Wie«, rief Pickett, »du hattest doch nicht etwa Angst?«
»Ruhe«, zischte Booster. »Erzählen lassen!« Er stand auf, legte ein paar Holzkloben nach, und bald strahlte vom Kamin her wohlige Wärme ins Zimmer. Die Flammen schlugen knisternd hoch, beleuchteten sekundenlang Gesichter, warfen Schatten, zeichneten harte Linien, gaben den Zügen ein unirdisches Regen. Im hohen Kamin heulte der Sturm, Schauer prasselten gegen die Scheiben, vorm Fenster ächzten die Bäume.
Trifon stellte sein Glas zurück und räusperte sich.

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