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Der unsichtbare Kreis

Der unsichtbare Kreis

Titel: Der unsichtbare Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
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nötig.«
Impulsiv war Grünspan versucht, sich in das Gespräch zu
mischen. Aus den Worten des Würmers las er eine gewisse
Nachsicht. Das erschien ihm unvernünftig. Er versuchte sich
in dessen Rolle zu versetzen und mußte sich eingestehen,
daß es all seine gute Erziehung gebraucht hätte, in gleicher
Situation nicht seinen Unmut merken zu lassen. Was für ein
rüpelhaftes Benehmen jener Unbekannten. Nirgends, selbst bei
den hartgesottenen Kristalliden vom Planeten der Blauen
Sonne Randells, war ihm ähnliches widerfahren. Abseits
oder nicht, Höflichkeit und Rücksichtnahme sog man auf
der Erde mit der Muttermilch ein, und bei dem Würmer injizierte man die Eigenschaften gar dem Ei. Wahrhaftig, es
mußte eine sonderbare Welt sein, und er lobte sein Geschick,
daß es ihn nie dorthin verschlagen hatte. Wenn es sich vermeiden ließ, wollte er auch künftig nicht in deren Nähe… Der Gedanke ließ ihn schamrot werden. Wo war sein
Ethos? Wo seine Liebe zum Beruf? Seine Verantwortung würde auch dieses von ihm fordern können. Wie konnte er nur wegen einer lächerlichen, momentanen Schwäche seine Mission vergessen. Das war Verrat an seinen Idealen. Vielleicht warteten die bedauernswerten Kreaturen jenes Planeten auf ihn, vielleicht würde er sie aus unendlicher Qual erlösen, ihrem Leben einen Sinn geben, sie von der Stufe des Dahinvegetierens auf die eines wahrhaft menschlichen Daseins befördern. Wie immer sie aussehen mochten, was immer ihre Be
dürfnisse waren: Sie brauchten ihn!
Den Namen des Planeten! Er mußte ihn erfahren, koste es,
was es wolle. Es würde der Situation nicht gut anstehen, wollte er sich mit der Frage an den Würmer wenden. Man müßte
denken, er hätte aus niederen Beweggründen gelauscht.
Nein, er mußte ausharren, bis der Name fiel.
»Wie weit«, vernahm er die Frage des Beutlers, »sind sie in
ihrer technischen Entwicklung?«
»Nun«, entgegnete der Diplomat, »sie befinden sich an der
Schwelle zur Überlichtgeschwindigkeit, und es ist erstaunlich,
wie sie das geschafft haben, da sie ihre besten Kräfte mit Unsinn vergeuden!«
»Üben Sie Nachsicht, mein Guter!« rief eindringlich der
Beutler.
»Eh ja«, beruhigte ihn der Würmer, »was sagt schon der
Stand der Technik aus, nichts, rein gar nichts.«
»So leben sie in archaischen Verhältnissen? Das wäre eine
hinlängliche Erklärung.«
»Nichts da, archaisch«, widersprach der Würmer. »Sie haben
eine überaus verwickelte Gesellschaft geschaffen, eine Organisation, was sage ich, einen Apparat, der ihnen über den Kopf wächst. Von einem Optimum, die Möglichkeiten zu nutzen,
sind sie weit entfernt.«
»Das klingt paradox.«
»Es ist paradox!« In der Antwort des Diplomaten lag aufrichtiges Mitgefühl. »Vernehmen Sie ein Beispiel: Nach den
anfänglichen Mißverständnissen lebten wir uns schnell ein.
Wir gewöhnten uns daran, in Abständen ein handliches
Atemgerät zu benutzen, und empfanden es kaum noch als
Belästigung. Unsere Arbeit entwickelte sich zur Zufriedenheit,
zwar zäh, doch kontinuierlich. Die gesellschaftlichen Kontakte
nahmen zu.
Eines Tages wird mir auf einem Bankett ein männliches Individuum vorgestellt. Es versteht angenehm zu plaudern, ein
geistreicher Partner, fähiger Logiker, begabt, abstrakt und sinnreich zugleich zu denken, mit einem Wort, eine intellektuelle
Potenz, frei von Phrasen, sachlich und einfühlsam. Ich war
erstaunt, einem solchen Freigeist dort zu begegnen. Seine
Argumente treffen stets den Kern der Sache, und was ich nicht
vermochte auszudrücken, ahnt er gleichsam und faßt es in
kluge Worte.
Ich war hingerissen. Es wurde ein ungewöhnlich angeregter
Abend, und ich hätte gern mehr über ihn erfahren, vermutete
ich ihn doch in höchstem Amte. Allerdings verbot mein Taktgefühl diese oder jene allzu vertraute Frage.
Der Zufall führte uns im weiteren öfter zusammen, und es
entwickelte sich eine freundschaftliche Bindung. Er war Minister. Nur war mir lange Zeit nicht klar, in welchem Fach. Ich wurde eines Tages zur Besichtigung seines Amtsbereiches eingeladen. Es handelte sich um ein hochmodernes Werk, vollautomatisch, nach dem letzten Stand einheimischer Technik ausgerüstet. Eine imposante Anlage, unübersehbar,
sich weitend von einem Horizont zum anderen.
Man führte mich herum. Einhundertzwanzig hochspezialisierte Wissenschaftler überwachen den Komplex. Die Begehung
dauerte an die zwanzig galaktische Einheiten. Da die Atmosphäre an dem Ort vollends verseucht war, gebrauchte ich
ständig

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