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Der unsichtbare Turm

Der unsichtbare Turm

Titel: Der unsichtbare Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nils Johnson-Shelton
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Bruder als dieses, dieses … Ding!«
    Artie gefiel es nicht, Ding genannt zu werden. Doch da seine Eltern ein Fingerknochen und eine Haarlocke waren, musste er im Stillen zugeben, dass sie nicht ganz unrecht hatte.
    Dann drehte sich Cassie im Kreis und hob die Arme, wieder ganz die Irre. Sie schrie: »Kopie! Experiment! Marionette!«
    »Jetzt ist aber mal gut, Miss Cassie«, unterbrach Däumling sie.
    »Sch! Beredter Gnom, sei leise!«
    Mit einem ihrer gekrümmten Finger zeigte sie auf Artie und sagte vorwurfsvoll: »Du denkst, du hast eine Bestimmung? Krötengeburt! Papperlaschnapp! Sie wird kommen! Sie hat schon ihre Knechte losgeschickt, während wir sprechen! Wenn du ihr jetzt entkommst, wird sie andere Mittel und Wege finden, dich zu holen! Wo ist die, deren Name mit Q beginnt? Ist sie nicht bei euch?« Speichel tropfte aus ihrem Mundwinkel und ihr glänzender Blick huschte durch den Raum, als würde sie verzweifelt jemanden suchen, der nicht da war.
    Kay fragte: »Von wem redest du?«
    Doch Artie wusste es sofort und sein Herz rutschte ihm bis in die Schuhe. »Qwon?«, sagte er einfach nur.
    »Qwon! Ja! Keiner von euch ist sicher! Keiner von euch ist sicher vor dem wunderbaren Zorn Ihrer mächtigen Lordess Lady Morgaine!«
    Bei der Erwähnung ihres Titels und ihres Namens erklangen zwei ohrenbetäubende Geräusche auf einmal: das Brüllen der Säbelzahntiger und das heftige Aufheulen eines Windes, der durch den Wald und um das kleine Haus herumpfiff.
    Däumling sagte: »Artie, Majestät, ich habe ein schlechtes Gefühl. Ich glaube, wir sollten gehen. Sofort.«
    Däumling hatte recht, doch Artie glaubte seiner Schwester wegen Cassie einen großen Gefallen schuldig zu sein; es war verrückt, aber er fand es nicht richtig, einfach zu verschwinden, ohne sie mitzunehmen. Er wollte es gerade sagen, als Kay über das Getöse hinweg schrie: »Ich glaube, Däumling hat recht, Artie! Wir müssen sie jetzt erst mal hierlassen. Es wird schon gehen!«
    Doch was den letzten Punkt betraf, waren sie auf einmal nicht mehr so sicher.
    Denn jetzt wurde das unterirdische Gewummer stärker, und dann löste sich plötzlich das Landkartenhaus ganz einfach in eine schwarze Staubwolke auf. In einer Sekunde war das Haus und alles, was darin war – inklusive der Karte und des Tischs, der vor Bedevere stand –, noch da und in der nächsten war alles verschwunden.
    Artie stand mit dem Rücken zur eben noch vorhandenen Tür des Häuschens. Kay zog Cleomedes aus der Scheide und stürzte pfeilschnell auf ihren geliebten Bruder zu, als wollte sie ihm das Schwert bis zum Schaft in den Körper rammen.
    Und das hätte sie, wenn Artie sich nicht in allerletzter Sekunde ein wenig zur Seite gedreht hätte; Cleomedes schoss an seinem Hals vorbei und streifte ihn ganz leicht, bevor es hinter ihm in das weit aufgerissene Maul von Frau Tibbins eindrang. Im selben Augenblick, in dem die Wände verschwunden waren, war das Tier von dort, wo die Tür gestanden hatte, gesprungen und katzenartig leise dicht hinter Artie gelandet.
    Cleomedes schob sich durch die messerartigen Zähne der Raubkatze hindurch. Mühelos glitt die Klinge durch alles hindurch, woraus Kopf und Hals der Katze bestanden. Cleomedes gierte in Kays Fingern nach Blut. Es war ein schauriges Gefühl.
    Der Tiger bot einen grausigen Anblick: Cleomedes blutige Spitze drang oberhalb des Katzengenicks wieder heraus. Er brach zusammen, streifte wie ein Peitschenschlag Kays Arm und zwang sie so, ihr Schwert loszulassen. Sie musste sich ein wenig drehen, um Cleomedes herauszuziehen und in diesem Augenblick sah sie ihre Mutter.
    Cassie stand mit dem Rücken zum jetzt noch dunkleren Eichenwald. Plötzlich materialisierte sich ein Knäuel Moos, das grob die Form eines Menschen hatte, aus dem Wald. Es streckte zwei riesige Tentakel aus wabernder Flora nach der alten Frau aus und umschlang sie.
    Cassie schrie. Kay rannte los, zu ihrer Mutter, wild entschlossen, die Pflanzenkreatur in Stücke zu hacken, doch der Wald war zu stark. Kays Augen begegneten denen ihrer Mutter und für einen Moment konnten sie gegenseitig ihre Gedanken lesen, als ob sie zwischen ihnen in die Luft geschrieben stünden. Cassies Augen sagten: Es tut mir so leid. Und Kays sagten: Ich verzeihe dir, Mom!
    Und dann zog sich das Pflanzenwesen in die Tiefen des Waldes zurück und nahm Cassie mit sich.
    Kay fiel auf die Knie.
    Artie, der neben der toten Frau Tibbins stand, wollte zu seiner Schwester laufen und sie trösten, aber

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