Der unsichtbare Turm
hatte genau seinen wunden Punkt getroffen. War das nicht die Frage, die er dringlicher als alle anderen beantwortet haben wollte? Die Frage, die ihn überhaupt erst dazu gebracht hatte, sich auf all die Verrücktheiten dieser Welt einzulassen? Ein Drache, der ihn gerade einmal seit fünf Minuten kannte, hatte sofort seine Schwachstelle gefunden. Ein Drache.
»Nun«, antwortete Artie, »ich bin König Artie Kingfisher, und wie Tom gesagt hat, möchte ich zu Lord Numinae. Er hat etwas, das ich brauche, und jemanden, den ich zurückhaben will.«
Der Drache sah zur Seite und schubste beiläufig Däumlings Ei, als wäre es ein Spielzeug. Er sagte: »Das Etwas wird er geben vielleicht. Den Jemanden ich denke nicht. Doch das ist seine Entscheidung allein. Auch er will dich sehen, kleiner König, obgleich ich nicht weiß, warum. Wäre die Entscheidung die meine, ich würd versteinern euch beide und Excalibur bringen an seinen Schlafplatz zurück. Zu viel Ärger andernfalls.«
»Es ist aber nicht deine Entscheidung«, sagte Kay, um Sicherheit in der Stimme bemüht. Mit dieser Kreatur zu sprechen, war ihr nicht geheuer und sie wollte so schnell wie möglich weiter.
»Nein, ist’s nicht. Hmmpf.« Tiberius war eindeutig enttäuscht darüber.
Artie hingegen war erleichtert. »Okay, dann bring uns zu Numinae.«
Der Drache lächelte. »Hastet nicht, kleine Menschen. Drei Bedingungen müssen erfüllt sein. Die erste es bereits ist.« Er deutete mit dem Kinn auf Däumling.
»Du meinst, dass Däumling versteinert ist?«, fragte Artie.
Der Drache nickte.
»Wenn wir zurückkommen, wirst du ihn dann freilassen?«
Tiberius sagte: »Wenn ihr zurück hierher es schafft, wird er noch immer hier ruh’n.« Um seine Worte zu betonen, steckte der Drache eine Klaue in den Boden – tatsächlich in den Boden hinein . Als er sie herauszog, gab es ein scheußliches Geräusch – als wenn man mit dem Fingernagel auf einer Schultafel entlangkratzt. »Gänzlich lebendig wird er sein.«
»Okay«, sagte Artie mit Unbehagen. »Was sind die weiteren Bedingungen?«
»Keine Mondtore. Wenn ihr flieht und jemals zurückkehrt, versteinern ich euch werd wie euren Gefährten. Auf ewig.«
»Okay, wir müssen jetzt mal zum Ende kommen«, sagte Kay. »Also, was noch?«
Der Drache streckte seine Vorderklaue nach Artie aus. Sie war so groß wie ein Zweiersofa. Artie wich erst zurück, doch aus irgendeinem Grund wusste er, dass Tiberius ihm nichts tun würde.
Der Drache tippte auf Excaliburs Scheide. »Dies bleibt hier.«
»Großartig«, sagte Kay bitter.
Artie fragte: »Kann Kay mit mir kommen?«
»Hmmmpf.«
»Ist das ein Ja?«
»Ja.«
Artie schnallte die Schwertscheide ab und legte sie auf den Boden. »In Ordnung. Wir gehen also zu zweit zu Numinae und sind beide verwundbar.«
Kay wollte protestieren, doch Artie hob die Hand. »Das ist nur gerecht.«
Alles, was Tiberius dazu sagte, war »Hmmmmmmmmpf«, doch das klang so gewichtig und düster, dass klar wurde, dass er von Gerechtigkeit nicht besonders viel hielt. Da Drachen wahrscheinlich immer im Vorteil waren, schien das Artie völlig logisch.
Schließlich erhob sich der Drache. Artie und Kay hielten den Atem an, während Tiberius sich rückwärtsschob. Dabei hob er seine verhältnismäßig kleinen Flügel und schwankte auf seinen muskulösen Hinterbeinen hin und her. Dann hielt er an und sah nach unten. In der Wand war jetzt ein kleines, tiefes Loch zu sehen.
»Eine Prüfung wartet auf der anderen Seite. Holet den Kamm. Erst dann wird Lord Numinae euch empfangen.«
» Noch eine Prüfung? Mann, diese Typen lieben Prüfungen. Ihr hättet alle Lehrer werden sollen, anstatt verrückte Drachen, Zauberer und Gespenster oder was weiß ich was alles«, befand Kay. Dann nahm sie Arties Hand und drückte sie fest.
Artie fragte: »Bereit, Schwesterchen?«
Kay nickte. »Lass es uns durchziehen.«
Hand in Hand gingen sie in die kleine Höhle und waren verschwunden.
Kay brüllte: »Bis später dann, Tiberius!«
Doch der Drache stand einfach nur da und sah ihnen schweigend nach.
Kapitel 29
IN DEM ARTIE UND KAY NOCH EIN WEITERES VERFLUCHTES MAL GEPRÜFT WERDEN
Artie bat Excalibur um Licht. Sie liefen durch einen engen Gang und traten nach etwa dreißig Metern aus dem Fels heraus, auf eine große Wiese mit knöchelhohem Gras. Die Sonne wurde von einer dünnen Wolkenschicht verschleiert, doch dahinter war ihre leuchtende Scheibe klar und deutlich zu erkennen.
Sie schauten zurück. Hinter ihnen
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