Der Untergang
Verteidigungsbereiches von Berlin.«
Erst damit bekam der konfuse, gleichsam nach Freikorpsart fortgesetzte Widerstand das Zeichen zur Aufgabe. Am Vortag hatten Goebbels und Bormann endlich auch Dönitz vom Tod Hitlers unterrichtet. Fälschlicherweise war ihm am Abend des
30. April einzig mitgeteilt worden, daß er anstelle des abgesetzten Reichsmarschalls zum Führernachfolger ernannt sei. In Wahrheit hatte Hitler dem Großadmiral lediglich das Amt des Reichspräsidenten sowie das des Obersten Befehlshabers der Wehrmacht übertragen, nicht hingegen das des Kanzlers. Die Absicht, die Goebbels und Bormann leitete, war nicht nur, Hitlers Tod so lange wie möglich geheimzuhalten. Vielmehr setzten sie mit ihrer Irreführung auch die gewohnten Machtraufereien fort. Denn beide befürchteten, der ebenfalls nach Schleswig-Holstein ausgewichene Himmler könnte sich die Tatsache, daß Goebbels in Berlin so gut wie handlungsunfähig war, zunutze machen und darauf dringen, von Dönitz zum Kanzler ernannt zu werden. Der Großadmiral würde aber, so rechneten sie, das Amt nicht hergeben, solange er sich selber für den von Hitler eingesetzten Kanzler hielt.
Nachdem der Funkspruch abgesetzt war, widmete sich Goebbels den wenigen verbliebenen Kanzlergeschäften. Er führte die eine und andere Unterredung, leistete einige Unterschriften und zog sich anschließend zurück, um sein seit Jahren geführtes Tagebuch abzuschließen. Am Ende formulierte er eine Art Bilanz und machte sich in einem sieben Seiten langen Traktat daran, die Politik zu rechtfertigen, die er mit Hitler über die Jahre hin geführt hatte und deren wortmächtiger Anwalt er gewesen war.
Nach etwa einer Stunde trat Goebbels aus seinem Zimmer und übergab das Manuskript seinem Staatssekretär Werner Naumann mit der Bitte, es aus Berlin herauszuschaffen und der Nachwelt zu übermitteln. Zwar kam dieser postume Auftritt nicht zustande, weil Naumann die Seiten, wie er behauptet hat, in den Wirrnissen der Fluchttage verlor. Doch fällt es nicht schwer, das Plädoyer wenigstens umrißhaft aus jenen Texten zu rekonstruieren, die Goebbels seit langem und in den letzten Wochen verstärkt abgefaßt hat.
Den Beginn machte auch diesmal gewiß wieder die Kette der Rechtfertigungen, die er ihrem Tun seit je unterschoben hatte, angefangen vom Willen zur Verteidigung der europäischen Kultur mitsamt den Verdammungsurteilen über den Westen, der aus blindem Haß gegen das Reich die tödlich drohenden Gefahren geleugnet und den alten Kontinent den asiatischen Horden ausgeliefert habe, bis hin zur Kritik an den eigenen Reihen, die nicht nur vom Dauerverrat der alten Schichten geschwächt, sondern auch unfähig zum totalen Krieg gewesen seien. Und das alles begleitet und gesteigert durch die hochgezogenen Bilder vom Weltenringen zwischen den luziferischen Mächten des Abgrunds auf der einen und den Heerscharen der Ordnung wie der Gerechtigkeit auf der anderen Seite mit Hitler als dem Feldherrn-Messias. Es war noch einmal der stete Rückgriff auf religiöse Wendungen und Metaphern, mit denen er, fast zwanzig Jahre zurück, den Führermythos begründet und übermächtig gemacht hatte. In kürzester Zeit, so mochte er, wie manches Mal bereits, blasphemisch geschlossen haben, wenn Europa bolschewistisch geworden sei, werde man sich des Führers verlangend erinnern, weil er noch einmal den Weg nach Golgatha beschritten und sein Leben hingegeben habe zur Erlösung der Welt.
Am Abend ging Magda Goebbels zu ihrer Wohnung im Vorbunker hinüber. Mehrfach bereits war sie mit Hitlers Begleitarzt Dr. Stumpfegger und dem Adjutanten der SSSanitätsverwaltung Dr. Kunz zusammengetroffen, um in Erfahrung zu bringen, wie ihre Kinder rasch und schmerzlos getötet werden könnten. Auch hatte sie Hanna Reitsch ein Schreiben an ihren Sohn aus erster Ehe, Harald Quandt, mitgegeben, das ihre Entscheidung zu begründen versuchte. Sie habe sich entschlossen, schrieb sie, ihrem nationalsozialistischen Leben »den einzig möglichen, ehrenvollen Abschluß zu geben«. Dann war sie fortgefahren: »Du sollst wissen, daß ich gegen den Willen Papas bei ihm geblieben bin, daß noch vorigen Sonntag der Führer mir helfen wollte, hier herauszukommen. Es gab für mich keine Überlegung. Unsere herrliche Idee geht zugrunde, mit ihr alles, was ich Schönes, Bewundernswertes, Edles und Gutes in meinem Leben gekannt habe. Die Welt, die nach dem Führer und dem Nationalsozialismus kommt, ist nicht wert,
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