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Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim C. Fest , Bernd Eichinger
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niemand nach Einbruch der Dunkelheit auf die Straßen. Die Nächte der zerschlagenen Stadt waren erfüllt von beängstigenden Geräuschen: dem fernen, von gewitterähnlichen Blitzen begleiteten Grollen der Geschütze, unvermittelt hochjagendem Motorenlärm, vereinzelten Feuerstößen und, nahebei, den Schreien der Frauen. Gefallene Soldaten und Zivilisten lagen zu Hunderten in den Trümmern, doch kümmerte sich niemand darum.
      Wer immer dazu in der Lage war, betrachtete den Krieg als beendet. Verschiedentlich sah man verloren herumstehende Wehrmachtsangehörige, die ihre Gewehre an den Rinnsteinen zerschlugen, ihre Handgranaten blind in die Ruinen schleuderten oder aus verlassenen Fahrzeugen die Zündkabel rissen. Noch tagelang fielen, wie von unsichtbarer Hand berührt, ganze Häuserfassaden in sich zusammen. Nur allmählich belebten sich die äußeren, vor Tagen bereits eingenommenen Bezirke mit erschöpften, von der Überlebensnot gezeichneten Menschen, die in Koffern oder Rucksäcken ein paar gerettete Habseligkeiten mit sich führten. Überall verschwanden die Parteiabzeichen, Führerbilder und Hakenkreuzfahnen. Die Nachricht, daß Hitler sich umgebracht habe, fand wenig Glauben, da die offizielle Meldung, er sei, »bis zum letzten Atemzug gegen den Bolschewismus kämpfend«, gefallen, der noch immer verbreiteten Vorstellung genauer entsprach.
    In den eroberten, vom Kampfgeschehen entfernten Stadtbezirken entwickelte sich zusehends eine Art regelloses Lagerleben. Patrouillierende Rotarmisten in erdbraunen Kitteln zogen durch die Straßen, vorbei an ausgeglühten oder im Schwelbrand rauchenden Trümmern, dessen Schwaden noch tagelang ganze Stadtteile verdunkelten. Auf vielen Plätzen lagerten biwakierende Truppen, häufig auch weibliche Soldaten darunter, die sich zwischen verbranntem oder umgestürztem Kriegsgerät zum Erinnerungsfoto aufstellten und ihre Lederpeitschen über das Pflaster knallen ließen. Andernorts warteten Gefangene in langen Reihen auf ihr Verhör, während aus einiger Entfernung noch das Aufblitzen der Mündungsfeuer kam. Auf ihrem Vormarsch hatten die sowjetischen Einheiten ganze Kuhherden requiriert, die nun irgendwo herumstanden, bis die Tiere eins ums andere geschlachtet und von tanzenden oder singenden Mannschaften über offenen Feuern gebraten wurden. Und überall, gezogen von zottigen Steppenpferden, die kleinen Panjewagen, behängt mit billigem Beutegut: mit Töpfen und Kleidungsstücken, Gießkannen, Akkordeons, Puppen oder was sonst alles mitgegangen war. Manchmal auch Hundegespanne. Dazwischen, unablässig kreuz und quer fahrend, motorisierte Kuriere mit strengem Ausdruck. An jeder größeren Straßenkreuzung waren Schilder in kyrillischer Schrift aufgestellt.

    Riesige graue Heerhaufen von Kriegsgefangenen, nach sowjetischen
Angaben fast eine halbe Million, zogen am Ende der Schlacht aus dem
zerstörten Berlin nach Osten.
      Gleichzeitig strömten an ausgewiesenen Sammelplätzen Tag und Nacht die Gefangenen zusammen. Heruntergekommen und übermüdet, oftmals mit weißen Armbinden, kamen sie aus Kellern, Erdlöchern oder Kanalisationsschächten hervor, viele alte Volkssturmmänner darunter, fünfzehnjährige Flakhelfer sowie Verwundete auf Krücken oder mit blutdurchtränkten Verbänden. Stumm reihten sie sich irgendwo ein und zogen dann, getrieben und eskortiert von siegesstolzen, vielfach bereits ordensgeschmückten Sowjetsoldaten, in riesigen, grauen Heerhaufen ab. Als die Dunkelheit hereinbrach, waren auch die Scheinwerfer wieder da: Mit aufgeblendetem Licht waren an den Ausfallstraßen allenthalben Truppenfahrzeuge und Zugmaschinen aufgefahren und tauchten die Szene in geisterhafte Helle. An den Rändern, im Schatten der Ruinen, standen kleine Gruppen meist älterer Frauen, sahen bedrückt die endlosen Kolonnen heranrücken, vorbeitrotten und irgendwo im Weiten verschwinden.
      Auf die Nachricht von der Kapitulation brach in Moskau der Siegestaumel los. Unübersehbare Menschenmassen strömten auf die Straßen, schrien, warfen ihre Mützen hoch und umarmten sich. Der große Krieg war unter unermeßlichen Opfern zu Ende gebracht. Allein die Schlacht um Berlin hatte die Rote Armee dreihunderttausend Tote gekostet. Auf deutscher Seite waren an die vierzigtausend Soldaten gefallen. Keine verläßliche Zahl nennt die zivilen Opfer. Fast eine halbe Million zog in die Gefangenschaft.
      Kurz vor Mitternacht donnerten in Moskau vierundzwanzig Artilleriesalven aus über

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