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Der Untergang der islamischen Welt

Der Untergang der islamischen Welt

Titel: Der Untergang der islamischen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hamed Abdel-Samad
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Untergangs der islamischen Kultur: der Reinheitswahn.
    Mit seinen Anhängern ging Mohamed aber nie wie ein Diktator um. Er praktizierte mit ihnen das altarabische Prinzip der Schura, der Stammesberatung. Aber sie fragten ihn zu allen Belangen des Lebens und erwarteten von ihm Koranpassagen oder ein religiöses Gutachten als Antwort. Daraus entstanden neue Suren, die sprachlich und inhaltlich ganz anders sind als die Suren von Mekka. In Medina waren die Suren meist konkret, belehrend und konfliktbetont. Aus den Hadithen (den außerkoranischen Aussagen des Propheten) ist die größte Gebrauchsanweisung der Geschichte entstanden. Gebote, Verbote und Empfehlungen, die einen Muslim vierundzwanzig Stunden täglich und in jeder Lebenssituation begleiten. Das macht es vielen Muslimen bis heute schwer, den Gedanken der Säkularisierung nachzuvollziehen. Im Gegensatz zu Jesus, der nur wenige Monate als Privatprediger unterwegs war, währte Mohameds herrscherliche Präsenz dreiundzwanzig Jahre, in denen er die Funktionen als Gesetzgeber, Richter, Feldherr und noch dazu als Prophet erfüllte. Jesus musste sich nie um die materiellen Belange einer großen Gemeinde kümmern, deshalb fiel es ihm nicht schwer zu sagen: »Gib dem Kaiser, was des Kaisers ist, und gib Gott, was Gottes ist.« Mohamed konnte so etwas nicht sagen, da er Kaiser und Postbote Gottes zugleich war. Die ersten Christen sammelten eine lange Erfahrung als kleine Minderheit, ehe das Christentum drei Jahrhunderte später Staatsreligion des Römischen Reiches wurde. Muslime kamen hingegen sehr früh an die Macht und kannten, mit wenigen Ausnahmen, in ihrer Geschichte die Situation der Minderheit nicht.
    Der Islam wurde auf fünf Säulen errichtet: erstens auf einer enthellenisierten Form des Christentums, zweitens auf der jüdischen Gesetzlichkeit, drittens auf den altarabischen Stammesstrukturen, viertens auf dem Koran und fünftens auf dem Dschihad. Vom Christentum und vom Judentum emanzipierte sich Mohamed schon zu Lebzeiten, von den archaischen Denkstrukturen des alten Arabiens und von der Dschihadideologie des Korans konnte sich seine Gemeinschaft bis heute aber nicht lösen. Die Vision des christlichen Mönchs war gescheitert. Die Araber ticken eben anders. Das schien Mohamed begriffen zu haben. Die Verlegung der Gebetsrichtung nach Mekka war auch eine Rückkehr zu einer alten Vision seines Urgroßvaters, des Gründers des Stammes der Hashemiten.
    Mekka lag auf dem Handelsweg zwischen Damaskus und dem Jemen. Im Zentrum der Stadt lag die Kaaba als pluralistisches religiöses Zentrum Arabiens. Jeder Stamm durfte seine Gottheit in oder um die Kaaba herum aufstellen und besuchte sie während der Handelssaison. Auch Christen durften Bilder von Jesus und Maria sogar innerhalb der Kaaba aufhängen. Eine Toleranz, die der Stadt später fremd wurde. Der Stamm des Propheten hatte traditionell die Aufgabe, die Pilger zu bewirten, was eine große Ehre darstellte. Schon vor Mohameds Geburt wollte sein Großvater die zerstrittenen arabischen Stämme einen und ein großarabisches Reich mit der Kaaba als religiösem Zentrum gründen. Laut dem ägyptischen Historiker Sayyed El-Qimni verbündete sich der Großvater des Propheten mit den arabischen Stämmen von Medina, die vor Mohameds Auswanderung Yathrib hießen, aber der Großvater starb, bevor er sein Vorhaben verwirklichen konnte. Sein Enkel Mohamed sollte von den frühen Allianzen seines Großvaters in Medina nun profitieren. Nach dem Tod des Mönchs Waraqa und nach dem Scheitern der Allianz mit den Juden kam es zu einer Kehrtwende in der Strategie des Propheten. Er kehrte zum Stammesdenken zurück, wählte die Kaaba als Zentrum und integrierte die heidnischen Hadsch-Rituale in das monotheistische Denken. Das Prinzip Blutsverwandtschaft wurde aber durch das Prinzip »Glaube« ergänzt. Mohamed hatte, was sein Großvater nicht hatte, nämlich ein Buch, das erste arabische Buch überhaupt. Diese Mischung erklärt die rasanten Erfolge des Islam nach der Rückkehr nach Mekka. Aber Mohamed war ein anderer, als er seine Heimatstadt zurückeroberte. Er sagte den Mekkanern nicht wie früher: »Euch euern Glauben, und mir meinen Glauben«, sondern zerstörte alle ihrer Gottheiten, die um die Kaaba standen, und so pflanzte er die Saat der Intoleranz in das Herz des Islam, eine Krankheit, die diese Religion nie losgeworden ist. Ein multireligiöses Zentrum wurde monokulturell: Dies war auch der Anfang vom Ende dieser Kultur. Denn er

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