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Der Untergang der Telestadt

Der Untergang der Telestadt

Titel: Der Untergang der Telestadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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verändern, eine Art Sprechgesang aus, was durchaus wirkungsvoll klang. Die nach uns ins Haus geströmten, etwa fünfzig Würdenträger gingen auf ein Knie und fielen an bestimmten Stellen in den Sang mit ein. Einige Vokabeln verstanden wir wieder: »Kosmos«, »Himmel«, »Erde«, »Mutter«, »kommen«, »warten« und einige andere.
    Das Ganze dauerte vielleicht eine Viertelstunde. Dann drehte Lene sich der Plasthaube zu, stand mehrere Minuten ganz still; man hätte die berühmte Stecknadel fallen hören.
    Als sie den heiligen Schrein öffnete, ging ein Stöhnen durch die Anwesenden.
    Lene verneigte sich vor dem Buch – wieder sehr langsam, dann schlug sie es mit äußerster Vorsicht auf.
    Ich machte einen langen Hals. Die Vergilbung des Papiers reichte ein bis zwei Zentimeter in die Seiten hinein. Die Blätter waren liniert und zeigten notizenhafte, handgeschriebene Eintragungen.
    Lene schlug die letzte Seite auf, trat einen Schritt zurück und bedeutete Bruno, an das Buch heranzutreten.
    Es begann Brunos großer Auftritt. Niemand von uns hätte ihm diese Fähigkeiten zugetraut.
    Bruno fiel unmittelbar vor dem Tisch auf beide Knie, legte den Kopf auf die Keramikplatte, und ich wette, er verdrehte die Augen so, daß er außerdem das Buch sehen konnte.
    Dann hub er getragen an, nichtssagende Sätze mit großem Pathos zu rezitieren, aber wir merkten, daß er versuchte, die von Lene gebrauchten Wörter einzuflechten. Er sagte, wir seien Söhne der Mutter Erde, die uns in den Himmel gesandt habe, ihre Kinder im Kosmos zu grüßen und ihr Kommen anzukündigen, sie sollten weiterhin geduldig warten. Ich hatte einerseits amüsiert, andererseits auch bewegt zugehört, wurde aber ungeheuer aufmerksam, als Bruno den Kopf ein wenig hob und im gleichen Tonfall mit ganz anderem Text fortfuhr. »Achtung, Freunde, ich lese jetzt die Eintragung der letzten Seite vor:

    ›Neuerd, den zweiundzwanzigsten Juli im Jahre zweitausendsiebenundneun zig. Heute beginnen wir mit dem Entladen des Schiffes. Es wird uns Zuflucht bleiben, aber nicht mehr Heimstatt sein, denn diese schaffen wir neu. Schöp ferkraft und Reichtum der Menschheit ermöglichen diese Pioniertat. Die nach uns kommen, die Mutter Erde gleich uns verlassen, werden hier in gleicher Art ihre Heimat finden. Von diesem Punkt aus beginnt eine neue Ära für diesen Planeten, dank Menschengeist, Einigkeit und Frieden!
    Hier schließen die Eintragungen im Logbuch. Ab heute werden neue Seiten aufgeschlagen, die des Geschichtsbuches des Planeten der Menschen: Neuerd!‹«

    Bruno ging in einen Sprechgesang über, offenbar in der Absicht, uns auf einen Wechsel in der Information aufmerksam zu machen. Er sang: »Ende des Zitats und des Buches. Ganz schön geschwollen, nicht? Und arrogant auch. Aber eine Wertung steht uns nicht zu. Ich beende jetzt das Theater.«
    Er nahm die erhobenen Hände herunter. Und noch ehe es hätte einer verhindern können (versucht hatte es niemand), klappte er das Buch zu. Mit Grabesstimme schloß er: »Logbuch der TELESALT.«
    Bruno stand auf, hob die Arme, drehte sich den Hörern zu und verfiel in Schweigen. Als er den Namen »Telesalt« aussprach, ging ein ehrfürchtiges Murmeln durch den Saal.
    Nach einer Weile nahm Bruno die Arme herab. Fast befürchtete ich, er würde weiter die Initiative behalten und einfach gehen. Nein – er trat zur Seite und einen Schritt zurück, überließ das Terrain wieder Lene. Aber auch aus ihrer Sicht schien die Sache abgeschlossen zu sein. Noch einmal wandte sie sich an die Gemeinde, und es waren dem Ton fall nach wohl mahnende Worte, die sie an sie richtete. Ab und an neigten alle die Köpfe und murmelten: »Muhm Lene Mutter.«
    Offensichtlich nutzte sie unsere Anwesenheit, um Gehorsam und Ehrfurcht bei ihren Untertanen – oder Mitbürgern? – zu stimulieren. Als wir ins Freie traten, blendete uns zunächst die Sonne. Es war noch Vormittag, und auf dem Platz zwischen dem Haus und dem Wasser waren die Vorbereitungen eines Festes im Gange.
    Kessel wurden aufgestellt – einen besah ich mir später näher. Er war schwarz und verbeult, aber aus bestem Edelstahl, hatte gewiß dreihundert Jahre überdauert und war ursprünglich Teil einer Wasserregenerierungsanlage gewesen.
    Die feierliche Prozession löste sich mit dem Verlassen des Tempels auf. »Du warst einfach großartig, Bruno!« rief Lisa begeistert.
    Ich klopfte unserem Kommandanten auf die Schulter, Carlos drückte ihm verstohlen die Hand.
    Auf dem Platz quirlte

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