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Der Untergang der Telestadt

Der Untergang der Telestadt

Titel: Der Untergang der Telestadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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der Menschheit – »der Erde«, fügte er hinzu – gezogen werden, dann sei, unter Berücksichtigung all dessen, was wir mitbrächten, festzulegen, wie den Leuten auf Flora wissenschaftlich begründet zu helfen wäre.
    Alles, was wir in dieser Richtung tun könnten, sei stümperhaft und provisorisch, könne letztlich mehr schaden als nutzen. Das Wesentliche, unsere eigentliche Aufgabe, sei sträflich vernachlässigt worden, schon jetzt hätten wir unverzeihlichen Verzug zugelassen.
    Lisa stellte sich gegen Bruno. »Wenn«, so begründete sie, »die Chronik Schlüsse zuläßt, weshalb sie so geworden sind, dann sicher auch solche, wie man die genommene Entwicklung bremsen, umkehren könnte. Und das nicht in Jahrzehnten oder Jahrhunderten, dann, wenn irgendwelche Arbeitskreise und Kommissionen der Erde zu irgendwelchen Schlüssen gekommen sind, sondern jetzt und sofort. Wir wissen, Hilfe auf allen Gebieten ist nötig, und wir könnten vielfach helfen!«
    »Ihre Abwärtsentwicklung, Lisa, ist zu Ende. Sie beginnen eine Evolution – oder sind in einer stabilen Stagnation…« Ich versuchte, Lisa so sanft wie möglich auf das Unvernünftige ihrer Forderungen hinzuweisen. »Sie sollen sich nicht zu irgend etwas entwickeln, sondern Menschen bleiben. Noch wissen sie um ihren Ursprung, verdammt noch mal!« fauchte Lisa zurück.
    »Sam, du bist Anthropologe. Deine Meinung!« Bruno forderte mit einer gewissen Schärfe, brachte mich folgerichtig in Bedrängnis.
    Ich versuchte es versöhnlerisch: »Es ist nicht von der Hand zu weisen, was Lisa sagt. Tatsächlich ist zu entscheiden, ob sie ihren eigenen Weg gehen, den sie zweifelsohne eingeschlagen haben, oder…«, ich lächelte, »ob sie in den Schoß der Menschheit zurückkehren. Auch dafür bestehen noch Voraussetzungen. Natürlich, je mehr Zeit verfließt, desto schwieriger wird diese Alternative. Und was für sie das Bessere wäre… Wer schon kann das sagen.« Bruno runzelte die Stirn.
    Ich gab mir einen Ruck. »Ich hin für Brunos Vorschlag, aber: Es müßte uns gestattet sein, im Rat der Internationalen Front so viel Stimme zu haben, daß schnell entschieden wird, was zu geschehen hat. Es könnte in zwanzig Jahren eine neue, große Expedition hier wirken. Und zu diesem Zeitpunkt sind noch beide Varianten möglich.« »Danke«, sagte Bruno.

    Bereits am nächsten Tag ordnete Bruno Startvorbereitungen an. Als wir die Kassetten geborgen, die Kuppel erneut untersucht und das Skelett als das einer Frau identifiziert hatten, starteten wir in ein Gebiet von Flora, das dem ersten Landeplatz beinahe antipodisch gegenüberlag. Mir begründete Bruno diese Maßnahme scherzhaft im Vorübergehen: »Damit niemand erst in Versuchung gerät…«
    Und in diesem Augenblick machte ich mir doch Gedanken, ob er in einer Crew von sechs Leuten nicht doch zu sehr den Kommandanten herauskehrte.
    Im übrigen war die Arbeit in der TELESALT, die Friedrun, Lisa und ich auszuführen hatten, durch Lisas Verstimmung außerordentlich belastet. Sie sprach kaum das Nötigste, und mich schnitt sie gar, weil ich aus ihrer Sicht Brunos Standpunkt teilte.
    Nach dem Dienst setzte sich das in unserem Wohntrakt fort. Lisa verschloß sich meinen Argumenten, die sie einfach nicht akzeptierte. Auf meine Frage, ob sie sich mir gegenüber den Rest des Aufenthalts auf Flora und während der Heimreise ausschließlich so abweisend verhalten wolle, zuckte sie mit den Schultern und meinte, es gäbe wohl genügend zu tun, solche Probleme seien mehr als zweitrangig.
    Wo waren sie hingeraten, die Computersympathici Lisa und Sam!
    Zunächst aber maß ich dem tatsächlich keine übermäßige Bedeutung bei. Wir konnten in der Tat vor Arbeit nicht aus den Augen sehn, und ich dachte an das alte Sprichwort: Kommt Zeit, kommt Rat…
    Verhindern konnte ich allerdings auch nicht, daß mich in Augenblicken vor dem Einschlafen die hauchzarte Berührung mit Friedrun heimsuchte und ein unbestimmtes Sehnen in mir auslöste…

    Bruno entwickelte den Ehrgeiz, Versäumtes aufzuholen. Heute denke ich, es lagen dem weitere Motive zugrunde, daß er uns dermaßen, bis zur physischen Erschöpfung oft, rackern ließ. Vielleicht fürchtete er, noch andere außer Lisa könnten opponieren. Schließlich hatte nur ich mich ausdrücklich bekannt. Vielleicht auch war ihm angst vor sich selbst. Einmal traf ich ihn, als er gedankenversunken mit der Hand über die hervorquellende Syntexwolle strich, an der Liege, aus der Mary ihren Anzug geschneidert

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