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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Ereignis von anderer Gestalt und an anderer Stelle, in England oder Deutschland etwa, vertreten werden. Ihre »Idee« (wie wir später sehen werden), der Übergang der Kultur in die Zivilisation, der Sieg der anorganischen Weltstadt über das organische Land, das nun »Provinz« in geistigem Sinne wird, war notwendig, und zwar in diesem Augenblick. Hierfür soll das Wort
Epoche
im alten, heute verwischten – mit Periode verwechselten – Sinne angewandt werden. Ein Ereignis macht Epoche, das heißt: es bezeichnet im Ablauf einer Kultur eine notwendige, schicksalshafte Wendung. Das zufällige Ereignis selbst, ein Kristallisationsgebilde der historischen Oberfläche, konnte durch entsprechende andre Zufälle vertreten werden; die
Epoche
ist notwendig und vorbestimmt. Ob ein Ereignis den Rang einer Epoche oder einer Episode in bezug auf eine Kultur und deren Gang einnimmt, das hängt, wie man sieht, mit den Ideen vom Schicksal und Zufall und also auch mit dem Unterschied der »epochalen« abendländischen und der »episodischen« antiken Tragik zusammen.
    Es mögen ferner
anonyme und persönliche
Epochen unterschieden werden, je nach ihrem physiognomischen Typus im Geschichtsbilde. Zu den Zufällen ersten Ranges gehören die großen Personen mit der Gestaltungskraft ihres Privatschicksals, welches das Schicksal von Tausenden, ganzer Völker und Zeitalter seiner Form einverleibt. Aber es unterscheidet doch die Glücksritter und Erfolgreichen ohne innere Größe – wie Danton und Robespierre – von den Heroen der Geschichte, daß ihr persönliches Schicksal nur die Züge des allgemeinen trägt. Trotz der klangvollen Namen waren die »Jakobiner« im ganzen und nicht einzelne von ihnen der Typus, welcher die Zeit beherrscht hat. Der erste Teil jener Epoche, die Revolution, ist deshalb durchaus anonym, der zweite, napoleonische, im höchsten Grade persönlich gehalten. Die ungeheure Wucht dieser Erscheinungen hatte in einigen Jahren vollendet, was die entsprechende antike Epoche (etwa 386-322), verschwommen und unsicher, in ganzen Jahrzehnten unterirdischen Abbaus zu leisten hatte. Es gehört zum Wesen aller Kulturen, daß in jedem Stadium zunächst die gleiche Möglichkeit vorhanden ist, daß sich das Notwendige in Gestalt einer großen Einzelperson (Alexander, Diokletian, Mohammed, Luther, Napoleon), eines fast namenlosen Geschehens von bedeutender innerer Form (peloponnesischer, dreißigjähriger, spanischer Erbfolgekrieg) oder einer undeutlichen und unvollkommenen Entwicklung (Diadochenzeit, Hyksoszeit, deutsches Interregnum) vollzieht. Welche Form die
Wahrscheinlichkeit
für sich hat, ist bereits eine Frage des historischen – und also das tragischen – Stils.
    Das Tragische im Leben Napoleons – noch unentdeckt für einen Dichter, der groß genug wäre, es zu begreifen und zu gestalten– liegt darin, daß er, dessen Dasein im Kampf gegen die englische Politik, die vornehmste Repräsentantin des englischen Geistes, aufging, eben durch diesen Kampf den Sieg dieses Geistes auf dem Kontinent vollendete, der dann mächtig genug war, in der Gestalt »befreiter Völker« ihn zu überwältigen und in St. Helena sterben zu lassen. Nicht er war der Begründer des Expansionsprinzips.
Das
stammte aus dem Puritanismus der Umgebung Cromwells, die das britische Kolonialreich ins Leben gerufen hatte, [Ich erinnere an das Wort Cannings aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts: »Südamerika frei – und womöglich englisch!« Reiner ist der expansive Instinkt niemals zum Ausdruck gelangt.] und es war seit dem Tage von Valmy, den Goethe allein begriff, wie sein berühmtes Wort am Abend der Schlacht beweist, unter Vermittlung englisch geschulter Köpfe wie Rousseau und Mirabeau auch die Tendenz der Revolutionsheere, die durchaus von den Ideen englischer Philosophen vorwärts getrieben wurden. Nicht Napoleon hat diese Ideen, sie haben ihn geformt, und als er den Thron bestieg, mußte er sie weiter verfolgen, gegen die einzige Macht, England nämlich, die
dasselbe
wollte. Sein Empire ist eine Schöpfung von französischem Blute, aber englischem Stil. In London war durch Locke, Shaftesbury, Clarke, vor allem Bentham, die Theorie der »europäischen Zivilisation«, des abendländischen Hellenismus ausgebildet und von Bayle, Voltaire, Rousseau nach Paris getragen worden. Im Namen dieses England des Parlamentarismus, der Geschäftsmoral und des Journalismus kämpfte man bei Valmy, Marengo, Jena, Smolensk und Leipzig, und englischer Geist hat

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