Der Untergang des Abendlandes
in
all
diesen Schlachten gesiegt – – über die französische Kultur des Abendlandes. [Die reife abendländische Kultur war eine durchaus französische, die seit Ludwig XIV. aus der spanischen erwachsen war. Aber schon unter Ludwig XVI. siegte in Paris der englische Park über den französischen, die Empfindsamkeit über den
esprit
, Kleidung und gesellschaftliche Formen von London über die von Versailles, Hogarth über Watteau, Möbel von Chippendale und Porzellan von Wedgwood über Boulle und Sèvres.] Der Erste Konsul hatte keineswegs den Plan, Westeuropa Frankreich einzuverleiben; er wollte zunächst – der Alexandergedanke an der Schwelle jeder Zivilisation! – an Stelle des englischen ein französisches Kolonialreich setzen, durch welches er das politisch-militärische Übergewicht Frankreichs über das abendländische Kulturgebiet auf eine kaum angreifbare Basis gestellt hätte. Es wäre das Reich Karls V. gewesen, in dem die Sonne nicht unterging, trotz Kolumbus und Philipp II. von Paris aus geleitet und nunmehr nicht als ritterlich-kirchliche, sondern als wirtschaftlich-militärische Einheit organisiert. So weit – vielleicht – lag Schicksal in seiner Mission. Aber der Pariser Friede von 1763 hatte bereits die Frage
gegen
Frankreich entschieden, und seine mächtigen Pläne sind jedesmal an winzigen Zufällen gescheitert; zuerst vor St. Jean d'Acre durch ein paar rechtzeitig von den Engländern gelandete Geschütze; dann nach dem Frieden von Amiens, als er das ganze Mississippital bis zu den großen Seen besaß und mit Tippo Sahib, der damals Ostindien gegen die Engländer verteidigte, Beziehungen anknüpfte, an einer irrtümlichen Flottenbewegung seines Admirals, die ihn zum Abbruch einer sorgfältig vorbereiteten Unternehmung zwang; endlich, als er zum Zweck einer neuen Landung im Orient das Adriatische Meer durch die Besetzung von Dalmatien, Korfu und ganz Italien zu einem französischen gemacht hatte und mit dem Schah von Persien über eine Aktion gegen Indien unterhandelte, an Launen des Kaisers Alexander, der zu Zeiten einen Marsch nach Indien wohl – und dann mit sicherem Erfolg – unterstützt hätte. Erst indem er nach dem Scheitern aller außereuropäischen Kombinationen die Einverleibung von Deutschland und Spanien als ultima ratio im Kampfe gegen England wählte, Ländern, in denen sich nun gerade
seine
englisch-revolutionären Ideen gegen ihn, ihren Vermittler, erhoben, hatte er den Schritt getan, der ihn überflüssig machte. [Hardenberg hat Preußen in streng englischem Geiste reorganisiert, was ihm Friedrich August v. d. Marwitz zum schweren Vorwurf machte. Ebenso ist die Heeresreform Scharnhorsts eine Art »Rückkehr zur Natur« im Sinne Rousseaus und der Revolution gegenüber den Berufsheeren der Kabinettskriege zur Zeit Friedrichs des Großen.]
Ob das weltumfassende Kolonialsystem, einst von spanischem Geist entworfen, jetzt englisch oder französisch umgeprägt wurde, ob die »Vereinigten Staaten von Europa«, das Seitenstück
damals
der Diadochenreiche und nun in Zukunft des Imperium Romanum, durch ihn als romantische Militärmonarchie auf demokratischer Basis oder im 21. Jahrhundert durch einen cäsarischen Tatsachenmenschen als wirtschaftlicher Organismus Wirklichkeit wurden – das gehört zum Zufälligen des Geschichtsbildes. Seine Siege und Niederlagen, in denen immer ein Sieg Englands, ein Sieg der Zivilisation über die Kultur verborgen war, sein Kaisertum, sein Sturz, die
grande nation
, die episodische Befreiung Italiens, die 1796 wie 1859 eigentlich nur das politische Kostüm eines längst bedeutungslos gewordenen Volkes änderte, die Zerstörung des Deutschen Reiches, einer gotischen Ruine, sind Oberflächenbildungen, hinter denen die große Logik der eigentlichen, unsichtbaren Geschichte steht, und in ihrem Sinne vollzog damals das Abendland den Abschluß der in französischer Gestalt, im ancien régime zur Vollendung gelangten Kultur durch die englische Zivilisation. Als Symbole »gleichzeitiger« Zeitwenden entsprechen also die Erstürmung der Bastille, Valmy, Austerlitz, Waterloo und der Aufschwung Preußens den antiken Tatsachen der Schlachten von Chäronea und Gaugamela, dem Zug nach Indien und dem römischen Sieg bei Sentinum, und man begreift, daß in Kriegen und politischen Katastrophen, dem Grundstoff unserer Geschichtsschreibung, der Sieg nicht das Wesentliche eines Kampfes und der Friede nicht das Ziel einer Umwälzung ist.
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