Der Untergang des Abendlandes
Denker war, ist das Braun fast ideenlos, eine Schattenfarbe. (Das »katholische« Blaugrün macht bei ihm und Watteau dem Braun den Rang streitig.) Man sieht, wie dasselbe Mittel, das in den Händen tiefer Menschen Symbol wird und dann die ungeheure Transzendenz der Landschaften Rembrandts hervorrufen kann, daneben großen Meistern als bloße technische Handhabe zu Gebote steht, daß also, wie wir eben sahen, die künstlerisch-technische »Form«, als Gegensatz zu einem »Inhalt« gedacht, nichts mit der wahren Form großer Werke zu tun hat.
Ich hatte das Braun eine historische Farbe genannt. Es macht die Atmosphäre des Bildraumes zu einem Zeichen des Gerichtetseins,
der Zukunft
. Es übertönt die Sprache des Augenblicklichen in der Darstellung. Diese Bedeutung erstreckt sich auch auf die übrigen Farben der Ferne und führt zu einer weiteren, sehr bizarren Bereicherung der abendländischen Symbolik. Die Hellenen hatten die oft noch vergoldete Bronze zuletzt dem bemalten Marmor vorgezogen, um durch das Strahlende der Erscheinung unter tiefblauem Himmel die Idee der Einzigkeit alles Körperhaften zum Ausdruck zu bringen. [Man verwechsle die Tendenz, welche dem Goldglanz eines auf freiem Platze stehenden Körpers zugrunde liegt, nicht mit der des flimmernden arabischen Goldgrundes, der in dämmernden Innenräumen hinter den Figuren abschließt.] Die Renaissance grub diese Statuen aus, von einer vielhundertjährigen Patina überzogen, schwarz und grün; sie genoß das Historische des Eindrucks voller Ehrfurcht und Sehnsucht – und unser Formgefühl hat seitdem dieses »ferne« Schwarz und Grün heilig gesprochen. Es ist heute für den Eindruck der Bronze auf
unser
Auge unentbehrlich, wie um die Tatsache schalkhaft zu illustrieren, daß diese ganze Kunstgattung uns nichts mehr angeht. Was bedeutet uns eine Domkuppel, ein Bronzefigur ohne Patina, die das nahe Glänzen in den Ton des Dort und Einst verwandelt? Sind wir nicht endlich dahin gekommen, diese Patina künstlich zu erzeugen?
Aber in der Erhebung des Edelrostes zu einem Kunstmittel von selbständiger Bedeutung liegt viel mehr. Man frage sich, ob ein Grieche die Bildung der Patina nicht als Zerstörung des Kunstwerkes empfunden hätte. Es ist nicht die Farbe allein, das raumferne Grün, das er aus seelischen Gründen vermied; die Patina ist ein Symbol der
Vergänglichkeit
und sie erhält damit eine merkwürdige Beziehung zu den Symbolen der Uhr und der Bestattungsform. Es war an einer früheren Stelle die Rede von der Sehnsucht der faustischen Seele nach Ruinen und den Zeugnissen einer fernen Vergangenheit, einem Hange, wie er im Sammeln von Altertümern, Handschriften, Münzen, den Pilgerfahrten nach dem Forum Romanum und Pompeji, in Ausgrabungen und philologischen Studien schon zur Zeit Petrarcas zutage tritt. Wann wäre es je einem Griechen eingefallen, sich um die Ruinen von Knossos und Tiryns zu kümmern? Jeder kannte die Ilias, aber nicht einem kam der Gedanke, den Hügel von Troja aufzugraben. Die Aquädukte der Campagna, die etruskischen Gräber, die Ruinen von Luxor und Karnak, zerfallende Burgen am Rhein, der römische Limes, Hersfeld und Paulinzella werden mit einer geheimen Ehrfurcht vor dem Trümmerhaften erhalten – als Ruinen, denn man hat ein dunkles Gefühl davon, daß bei einem Wiederaufbau etwas schwer in Worte zu Fassendes, Unwiederbringliches verloren ginge. Nichts lag dem antiken Menschen ferner als diese Ehrfurcht vor verwitterten Zeugen eines Einst und Ehemals. Man räumte aus den Augen, was nicht mehr von der Gegenwart sprach. Nie wurde das Alte erhalten, weil es alt war. Als die Perser Athen zerstört hatten, warf man Säulen, Statuen, Reliefs, ob zertrümmert oder nicht, von der Akropolis herunter, um von vorn anzufangen, und diese Schutthalde ist unsre reichste Fundgrube für die Kunst des 6. Jahrhunderts geworden. Das entsprach dem Stil einer Kultur, welche die Leichenverbrennung zum Symbol erhob und die Bindung des täglichen Lebens an eine Zeitrechnung verschmähte. Wir haben auch hier das Gegenteil gewählt. Die heroische Landschaft im Stile Lorrains ist ohne Ruinen nicht denkbar, und der englische Park mit seinen atmosphärischen Stimmungen, der den französischen um 1750 verdrängte und dessen großgedachte Perspektive zugunsten der empfindsamen »Natur« Addisons und Popes aufgab, fügte noch das Motiv der
künstlichen Ruine
hinzu, die das Landschaftsbild historisch vertieft. [Home, ein englischer Philosoph des 18.
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