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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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zersplitterter Krone, das ruhige Kreisen oder ängstliche Flattern von Vögeln im Sturm gehört zur Pflanzenseite der Rasse. Aber auf welcher Seite stehen solche Merkmale
in dem Kampf zwischen Blut und Boden
um die innere Form einer »verpflanzten« Tier- oder Menschenart? Und wieviel von der Gestalt der Seele, der Sitte, des Hauses gehört hierher?
    Ein ganz anderes Bild ergibt sich, sobald man den Eindruck des rein Tierhaften ins Auge faßt. Es handelt sich, wenn man sich des Unterschiedes vom pflanzenhaften Dasein und tierhaften Wachsein erinnert, nicht um das Wachsein selbst und seine Sprache, sondern darum, daß hier Kosmisches und Mikrokosmisches einen frei beweglichen Leib bilden einen Mikrokosmos im Verhältnis zu einem Makrokosmos, dessen selbständiges Leben und Tun einen ganz eigenen Ausdruck besitzt, der sich zum Teil der Organe des Wachseins bedient und der wie bei Korallentieren mit der Beweglichkeit großenteils wieder verlorengeht.
    Wenn der Rasseausdruck der Pflanze ganz vorwiegend in der Physiognomie der Lage besteht, so liegt der tierhafte Ausdruck in einer
Physiognomie der Bewegung
, nämlich in der Gestalt, insofern sie sich bewegt, in der Bewegung selbst und in der Form der Glieder, soweit sie den Sinn der Bewegung darstellen. Von diesem Rasseausdruck offenbart ein schlafendes Tier sehr vieles nicht, ein totes, dessen Teile der Forscher wissenschaftlich untersucht, noch viel weniger, der Knochenbau eines Wirbeltieres fast nichts mehr. Deshalb sind für Wirbeltiere die Gelenke ausdrucksvoller als die Knochen, deshalb die Gliedmaßen der eigentliche Sitz des Ausdrucks im Gegensatz zu den Rippen und Schädelknochen – nur das Gebiß macht eine Ausnahme, weil es in seinem Aufbau den Charakter der tierischen Ernährung zeigt, während die Ernährung der Pflanze ein bloßer
Naturvorgang
ist –, deshalb das Insektenskelett, weil es den Körper umkleidet, ausdrucksvoller als das Vogelskelett, das ihn nur hält. Es sind vor allem die Organe des äußeren Keimblattes, die mit steigender Kraft den Rasseausdruck in sich sammeln, nicht das Auge an sich nach Form und Farbe, sondern
der Blick, der Gesichtsausdruck
, der Mund, weil er durch die Gewohnheit des Sprechens den Ausdruck des Verstehens trägt, überhaupt nicht der Schädel, sondern der
»Kopf«
mit seinen nur durch das Fleisch gebildeten Linien, der ganz eigentlich der Sitz der nichtpflanzlichen Seite des Lebens geworden ist. Man bedenke, woraufhin man dort Orchideen oder Rosen und hier Pferde oder Hunde züchtet und woraufhin man eine Menschenart am liebsten züchten möchte. Aber diese Physiognomie ergibt sich, es sei noch einmal gesagt, nicht aus der mathematischen Form der sichtbaren Teile, sondern einzig und allein aus dem Ausdruck der Bewegung. Wenn wir den Rasseausdruck eines unbewegten Menschen auf den ersten Blick begreifen, so beruht das auf einer Erfahrung des Auges, das in den Gliedern schon die zugehörige Bewegung sieht. Die wirkliche Rasseerscheinung eines Wisent, einer Forelle, eines Königsadlers läßt sich nicht durch die Aufzählung der Umrisse und Maße wiedergeben, und sie würde nie auf bildende Künstler eine so tiefe Anziehungskraft ausgeübt haben, wenn nicht das Geheimnis der Rasse
erst durch die Seele
im Kunstwerk und nicht schon durch die Nachahmung des Sichtbaren sich offenbarte. Man muß es sehen und sehend fühlen, wie die ungeheure Energie dieses Lebens sich in Kopf und Nacken zusammendrängt, aus dem geröteten Auge redet, aus dem kurzen gedrungenen Horn, aus dem Adlerschnabel, dem Profil des Raubvogelkopfes, was alles durch eine Wortsprache verstandesmäßig nicht mitzuteilen und nur durch die Sprache einer Kunst für andere auszudrücken ist.
    Aber mit den Merkmalen dieser edelsten Tierarten sind wir schon dem Rassebegriff ganz nahe gekommen, der innerhalb des Typus Mensch Unterschiede schafft, die über die pflanzenhaften und tierhaften hinausgehen, die geistiger sind und eben deshalb den Mitteln der Wissenschaft noch viel weniger zugänglich als diese. Die groben Merkmale des Knochenbaues haben überhaupt keine selbständige Bedeutung mehr. Schon Retzius († 1860) hat dem Glauben Blumenbachs ein Ende gemacht, daß Rasse und Schädelbildung übereinstimmen, und J. Ranke faßt seine Ergebnisse so zusammen: »Was die Menschheit bezüglich ihrer verschiedenen Schädelformen im ganzen darstellt, das stellt jeder Volksstamm, ja oft schon jede größere Gemeinde eines solchen im kleinen dar: eine Vereinigung der

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