Der Untergang des Abendlandes
an, die für uns mit dem Weltkrieg fast auf ihren Höhepunkt gelangt ist. In der Antike geschah das mit Hannibal, der im Namen des Hellenismus, dem er innerlich angehörte, den Kampf gegen Rom eröffnet hat, aber zugrunde ging, weil der hellenistische Osten, ganz antik, den Sinn der Stunde zu spät oder gar nicht begriff. Mit seinem Untergang beginnt jene stolze Reihe, die von den beiden Scipionen über Aemilius Paulus, Flaminius, die Catonen, die Gracchen, über Marius und Sulla zu Pompejus, Cäsar und Augustus führt. Ihnen entspricht jene Folge von Staatsmännern und Feldherrn im China der kämpfenden Staaten, die sich wie dort um Rom, so hier um Tsin sammeln. Bei der Verständnislosigkeit, mit welcher die politische Seite der chinesischen Geschichte behandelt zu werden pflegt, hat man sie als Sophisten bezeichnet. [Wenn der Ausdruck in den chinesischen Texten annähernd so töricht gemeint sein sollte, wie er von den Übersetzern verstanden worden ist, so beweist das nur, daß das Verständnis für politische Probleme in der chinesischen Kaiserzeit ebenso schnell dahinschwand wie in der römischen – weil man selbst keine Probleme mehr erlebte. Der vielbewunderte Se-ma-tsien ist im Grunde doch nur ein Kompilator etwa vom Range Plutarchs, dem er auch zeitlich entspricht. Der Höhepunkt geschichtlichen Verstehens,
der ein gleichwertiges Erleben voraussetzt
, muß in der Zeit der kämpfenden Staaten selbst gelegen haben, wie er für uns mit dem 19. Jahrhundert beginnt.] Sie waren es auch, aber in dem Sinne, wie die vornehmen Römer der gleichen Zeit Stoiker waren, nachdem sie im griechischen Osten philosophischen und rhetorischen Unterricht empfangen hatten. Sie waren alle geschulte Redner und haben alle gelegentlich über Philosophie geschrieben, Cäsar und Brutus so gut wie Cato und Cicero, aber nicht als Berufsphilosophen, sondern auf Grund einer vornehmen Sitte und aus ihrem
otium cum dignitate
heraus. Abgesehen davon waren sie Meister der Tatsachen, auf dem Schlachtfelde wie in der hohen Politik, und genau dasselbe gilt von den Staatskanzlern Dschang-yi und Su-tsin, [Beide waren wie die meisten führenden Staatsmänner der Zeit Hörer des Kwei-ku-tse gewesen, der durch seine Menschenkenntnis, den tiefen Blick für das geschichtlich Mögliche und seine Beherrschung der damaligen diplomatischen Technik – der »Kunst des Senkrechten und Wagerechten« – als eine der einflußreichsten Persönlichkeiten des Zeitalters erscheint. Eine ähnliche Bedeutung hatte nach ihm der eben erwähnte Denker und Kriegstheoretiker Sun-tse, unter anderm Erzieher des Kanzlers Li-si.] dem gefürchteten Diplomaten Fan-sui, der den General Pe-ki gestürzt hat, dem Gesetzgeber von Tsin Wei-yang, dem Mäcenas des ersten Kaisers Lui-schi, und andern.
Die Kultur hatte alle Kräfte in strenge Form gebunden. Jetzt sind sie entfesselt und »die Natur«, das heißt das Kosmische, bricht unvermittelt hervor. Die Wendung vom absoluten Staat zur – kämpfenden – Völkergemeinschaft jeder beginnenden Zivilisation mag für Idealisten und Ideologen bedeuten, was sie will; in der Tatsachenwelt bedeutet sie den Übergang vom Regieren im Stil und Takt einer strengen Tradition zu dem
sic volo, sic jubeo
des schrankenlosen persönlichen Regiments. Das Maximum von sinnbildlicher,
über
persönlicher Form fällt mit dem Gipfel der Spätzeiten zusammen, in China um 600, in der Antike um 450, für uns um 1700; das Minimum liegt in der Antike unter Sulla und Pompejus und wird für uns im nächsten Jahrhundert erreicht und vielleicht schon durchschritten sein. Die großen zwischenstaatlichen Kämpfe sind überall mit innerstaatlichen durchsetzt, Revolutionen von einer furchtbaren Art, aber sie dienen – ob sie es wissen und wollen oder nicht – ohne Ausnahme außerstaatlichen und zuletzt rein persönlichen Machtfragen; was sie selbst theoretisch erstreben, ist geschichtlich bedeutungslos, und wir brauchen nicht zu wissen, unter welchen Schlagworten die chinesischen und arabischen Revolutionen dieser Epoche ausbrachen oder ob sie ohne dergleichen geführt worden sind. Keine der zahllosen Revolutionen dieses Zeitalters, die mehr und mehr blinde Ausbrüche entwurzelter großstädtischer Massen werden, haben je ein Ziel erreicht oder auch nur erreichen können. Eine
geschichtliche Tatsache
bleibt nur der beschleunigte Abbau uralter Formen, der für cäsarische Gewalten freie Bahn schafft.
Aber dasselbe gilt auch von den Kriegen, in denen die Heere und
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