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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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ihre Taktik mehr und mehr Schöpfungen nicht mehr der Epoche, sondern unumschränkter Einzelführer werden, die oft genug ihr Genie erst spät und durch Zufall entdeckt haben. Um 300 gibt es
römische
Heere, seit 100 gibt es nur noch Heere des Marius, Sulla, Cäsar, und Oktavian wurde von seinem Heere, dem der Veteranen Cäsars, mehr geführt als daß er es führte. Aber damit nehmen die Methoden der Kriegführung, ihre Mittel und Ziele ganz andere, naturalistische, erschreckende Formen an. Es sind nicht mehr wie im 18. Jahrhundert Duelle in ritterlichen Formen wie ein Zweikampf im Park von Trianon, bei denen es feste Regeln dafür gibt, wann jemand seine Kräfte für erschöpft erklärt, was als das Höchstmaß aufzubringender Streitkräfte gilt und welche Bedingungen der Sieger als Kavalier stellen darf. Es sind Ringkämpfe wütender Menschen mit allen Mitteln, mit Fäusten und Zähnen, die bis zum körperlichen Zusammenbruch des einen und zur schrankenlosen Ausnutzung des Erfolgs durch den andern geführt werden. Das erste große Beispiel dieser Rückkehr zur Natur geben die Heere der Revolution und Napoleons, welche an die Stelle kunstvollen Manövrierens mit kleinen Truppenkörpern den Sturmangriff von Massen ohne Rücksicht auf die Verluste setzen und damit die ganze feine Strategie des Rokoko in Trümmer schlagen. Die Muskelkraft eines ganzen Volkes auf den Schlachtfeldern anzusetzen, wie es durch die Anwendung der allgemeinen Wehrpflicht geschieht, ist ein Gedanke, welcher dem Zeitalter Friedrichs des Großen gänzlich fern lag.
    Und ebenso ist in allen Kulturen die Technik des Krieges der des Handwerks zögernd gefolgt, bis sie zu Beginn einer jeden Zivilisation plötzlich die Führung übernimmt, alle mechanischen Möglichkeiten rücksichtslos in ihren Dienst stellt und ganz neue Gebiete durch das militärische Bedürfnis überhaupt erst erschließt, damit aber auch das persönliche Heldentum des Rassemenschen, das adlige Ethos und den feinen Geist der Spätzeit in weitem Umfange ausschaltet. Innerhalb der Antike, wo das Wesen der Polis Massenheere unmöglich machte – im Verhältnis zur Kleinheit aller antiken Formen, auch der taktischen, sind die Zahlen von Cannä, Philippi und Actium ganz ungeheuer –, hat die zweite Tyrannis die mechanische Technik eingeführt, und zwar durch Dionys von Syrakus gleich in großartigem Maßstab. [Das heißt im Vergleich zu der ganz geringfügigen sonstigen Technik der Antike, während sie gegenüber etwa der assyrischen und chinesischen nicht gerade bedeutend erscheint.] Erst jetzt werden Belagerungen möglich wie die von Rhodos (305), Syrakus (213), Karthago (146) und Alesia (52), an denen sich zugleich die steigende Bedeutung der Schnelligkeit selbst für die antike Kriegführung erkennen läßt; und aus demselben Grunde wirkt eine römische Legion, deren Aufbau ja erst eine Schöpfung der hellenistischen Zivilisation ist, wie eine Maschine gegenüber den athenischen und spartanischen Aufgeboten des 5. Jahrhunderts. Dem entspricht es, wenn im »gleichzeitigen« China seit 474 Eisen für die Hieb- und Stichwaffen verarbeitet wird, seit 450 die leichte Reiterei nach mongolischem Vorbild den schweren Kriegswagen verdrängt und der Festungskampf plötzlich einen gewaltigen Aufschwung nimmt. [Das Buch des Sozialisten Moh-ti aus dieser Zeit handelt im ersten Teil von der allgemeinen Menschenliebe, im zweiten von der Festungsartillerie, ein seltsamer Beleg zum Gegensatz von Wahrheiten und Tatsachen: Forke in der Ostasiat. Ztschr. VIII (Hirthnummer).] Die Grundneigung des zivilisierten Menschen zur Schnelligkeit, Beweglichkeit und Massenwirkung hat sich endlich in der westeuropäisch-amerikanischen Welt mit dem faustischen Willen zur Herrschaft über die Natur verbunden und zu dynamischen Methoden geführt, die noch Friedrich der Große für wahnwitzig erklärt haben würde, die aber in der Nachbarschaft unserer Verkehrs- und Industrietechnik etwas ganz Natürliches haben. Napoleon machte die Artillerie beritten und also schnell beweglich, wie er auch das Massenheer der Revolution in ein System schnell zu verschiebender Einzelkörper aufgelöst hat, und er hat schon bei Wagram und an der Moskwa ihre rein physikalische Wirkung bis zum wirklichen Schnell- und Trommelfeuer gesteigert. Die zweite Stufe bringt, was sehr bezeichnend ist, der amerikanische Bürgerkrieg von 1861–65, der auch hinsichtlich der Truppenstärke zum erstenmal die Größenordnung der napoleonischen Zeit

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