Der Untergang
schlug den Mantel zurück und legte die Hand auf den Griff des Krummsäbels, den er darunter trug.
Auch Andrej tastete nach seiner Waffe, zog die Hand dann aber wieder zurück. Das Gefühl des
Angestarrtwerdens hatte sich irgendwo auf halbem Wege zwischen der Pferdekoppel und Honsen
verloren, aber er spürte nach wie vor, dass irgend etwas hier war. Etwas, das nicht hier sein sollte. Und er
spürte auch, dass es sich hierbei nicht um eine Gefahr handelte, der er mit der Waffe begegnen konnte. Es
war sehr verwirrend.
Abu Dun machte eine Kopfbewegung nach rechts, zog den Säbel und huschte einen Augenblick später in
die angegebene Richtung davon. Praktisch im gleichen Moment trat Andrej in der entgegengesetzten
Richtung hinter dem Gebüsch hervor. Nahezu lautlos erreichten sie den eigentlichen Waldrand und
drangen ins dichte Unterholz vor. Nichts war zu hören, nirgends rührte sich etwas. Andrejs Sinne waren
zum Zerreißen gespannt, aber er hörte absolut nichts, außer seinen eigenen Schritten und denen Abu
Duns, die sich allmählich von ihm entfernten. Und doch spürte er immer deutlicher diese fremde, böse
Präsenz, die die Atmosphäre verpestete wie ein übler Gestank.
Aber das war unmöglich. Der Wald war nicht groß genug, um diesen Namen wirklich zu verdienen. Selbst
einem normalen Menschen mit einigermaßen wachen Sinnen wäre es möglich gewesen, jedermann
aufzuspüren, der sich hier zu verstecken suchte - und er hätte jeden Fremden wortwörtlich gerochen.
Aber hier war nichts. Absolut nichts.
Andrej war drauf und dran, sich einzugestehen, dass ihm vielleicht doch nur seine Nerven einen bösen
Streich gespielt hatten, als rechts von ihm ein helles, unterdrücktes Pfeifen ertönte, das jeder andere für
den Ruf eines Vogels gehalten hätte, der sich über die Störung durch die Eindringlinge beschwerte - jeder,
der nicht seit Jahren mit Abu Dun ritt und wusste, dass der Nubier nahezu jede Tierstimme perfekt zu
imitieren verstand. Rasch schob er das Schwert in den Gürtel zurück, wandte sich in die fragliche
Richtung und langte nach wenigen Schritten neben dem Freund an.
Er wollte eine Frage stellen, aber der Nubier gebot ihm zu schweigen und deutete zugleich mit einer
Kopfbewegung auf den Boden vor sich. Andrej ging langsam weiter, wobei er darauf achtete, möglichst
leise aufzutreten, ließ sich dann neben dem Freund in die Hocke sinken und erschrak, als er sah, was Abu
Dun entdeckt hatte.
In dem weichen Moos, das den Waldboden vor ihm bedeckte, waren die Spuren nackter kleiner Füße zu
sehen. Sehr kleiner Füße und nicht nur die eines, sondern die von mindestens zwei oder mehr Menschen.
»Also doch«, murmelte Abu Dun. Dann stand er mit einem Ruck auf und sah sich aus
zusammengekniffenen Augen um. »Diesmal bringe ich es zu Ende.« Schon stürmte er in die Richtung los,
in die die Fußspuren wiesen, noch bevor Andrej etwas sagen oder versuchen konnte, ihn zurückzuhalten,
und er nahm jetzt keinerlei Rücksicht mehr darauf, ob er Lärm machte oder nicht. Vermutlich spielte es
auch keine Rolle. Die Fußspuren waren erst wenige Minuten alt, und Andrej spürte die feindselige Präsenz
jetzt mit solcher Intensität, dass sie ihm fast den Atem raubte.
Noch während er hinter Abu Dun hereilte, versuchte er, die Richtung zu spüren, aus der das unheimliche
Gefühl kam, aber es wollte ihm nicht gelingen. Was immer dieses unheimliche Geschöpf war, dessen Nähe
er spürte, es schien nirgends und überall zugleich zu sein.
Er beschleunigte seinen Schritt, um zu dem Nubier aufzuholen, doch dann blieb Abu Dun so plötzlich
stehen, dass Andrej einen hastigen Ausfallschritt machen musste, um nicht gegen ihn zu prallen. Im
nächsten Augenblick erstarrte auch er mitten in der Bewegung, als er sah, weshalb Abu Dun so plötzlich
stehen geblieben war.
Sie hatten den jenseitigen Waldrand fast erreicht. Vor ihnen erhob sich nur noch eine einzige Baumreihe,
zwischen der das Unterholz aber so dicht war, dass es eine nahezu undurchdringliche Mauer bildete.
Dort lag Pater Flock wimmernd vor Angst und Schmerz und hoffnungslos im dornigen Gestrüpp des
Unterholzes verfangen, die seine Kutte zerrissen und Gesicht und Arme blutig gekratzt hatten. Verzweifelt
versuchte er, sein Gesicht mit den Händen vor den Hieben eines höchstens acht- oder neunjährigen
Jungen zu schützen, der auf seiner Brust hockte und versuchte, dem Geistlichen mit einem
kinderkopfgroßen Stein den Schädel zu zertrümmern. Ein zweiter, kaum älterer Junge
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