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Der Unterhändler

Der Unterhändler

Titel: Der Unterhändler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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schwindelerregendem Ausblick, und er fragte sich, wie die Bauern hier sich mit ihren winzigen Feldern und Obstgärten ernähren mochten.
    Die Straße führte in Kurven und Kehren immerfort bergan. Hin und wieder senkte sie sich, um einen Geländeeinschnitt zu überqueren, doch jedesmal begann sie wieder zu steigen. Nach St.   Lucie de Tallano kam die Baumgrenze, und die Berge waren mit dem dichten Gewirr aus Heidekraut und Myrte bedeckt, das Maquis genannt wird. Wenn im Zweiten Weltkrieg Leute in die Berge flohen, um einer Verhaftung durch die Gestapo zu entgehen, hieß das »sich in den Maquis flüchten«; so erhielt die französische Widerstandsbewegung den Namen »Maquis«, und ihre Mitglieder wurden »Maquisards« genannt.
    Korsika ist so alt wie seine Berge, und schon seit vorgeschichtlicher Zeit leben Menschen auf der gebirgigen Insel. Wie Sardinien und Sizilien war auch Korsika öfter umkämpft, als das Gedächtnis der Insel bewahrt hat, und die Fremden kamen immer als Invasoren, Eroberer und Steuereinzieher, kamen, um zu herrschen und zu nehmen, nie aber um zu geben. Da sie selbst so wenig zum Leben hatten, reagierten die Korsen damit, daß sie sich in die Berge, ihre natürlichen Bollwerke und Zufluchtsstätten, zurückzogen. Generationen von Rebellen und Banditen, Guerilleros und Partisanen haben sich in die Berge abgesetzt, um den Machthabern zu entgehen, die von der Küste ins Land drangen, um Menschen, die kaum etwas besaßen, Steuern und Abgaben aufzuerlegen.
    Aus dieser jahrhundertealten Erfahrung entwickelte das Gebirgsvolk seine Lebensphilosophie, untereinander zusammenhaltend und nach außen verschwiegen. Autorität bedeutete für sie Ungerechtigkeit, und Paris trieb die Steuern ebenso unnachsichtig ein wie jeder andere Eroberer. Obwohl Korsika zu Frankreich gehört und dem Land Napoleon Bonaparte und tausend andere bedeutende Männer schenkte, ist der Fremde für das Gebirgsvolk noch immer der Fremde, Vorbote von Ungerechtigkeit und Besteuerung, ob er nun aus Frankreich oder anderswoher kommt. Wohl schickte Korsika seine Söhne zu Zehntausenden zum Arbeiten ins festländische Frankreich, doch wenn einer von ihnen in Schwierigkeiten geriet, boten ihm die alten Berge noch immer eine Zuflucht.
    Die Berge, die Armut und das, was als Verfolgung empfunden wurde, sie bildeten den Hintergrund für die unerschütterliche Solidarität und für das Entstehen der Korsischen Union, in den Augen mancher eine Geheimorganisation, gefährlicher als die Mafia. Und in diese Welt, die auch das 20.   Jahrhundert mit seinem Gemeinsamen Markt und seinem Europäischen Parlament nicht zu ändern vermocht hatte, fuhr Quinn im letzten Monat des Jahres 1991.
    Kurz vor dem Dorf Levie begann eine kleine Straße, die als D 59 markiert war. Auf einem Wegweiser stand »Carbini«. Das Sträßchen führte genau nach Süden und überquerte nach vier Meilen den Fiumicicoli, hier zu einem Bach geschrumpft.
    In Carbini, einem Straßendorf, wo alte Männer in blauen Kitteln vor ihren steinernen Häuschen saßen und ein paar Hühner im Staub scharrten, versagte Quinns Ortsregister den Dienst. Zwei Sträßchen liefen aus dem Dorf hinaus; die D 148 führte nach Westen zurück, woher er gekommen war, aber längs der südlichen Talseite, die D 59 in Richtung Orone und, viel weiter im Süden, Sotta. Er sah den hochragenden Gipfel des Monte Cagna im Südwesten, zur Linken die stumme Masse des Ospedale-Massivs, gekrönt von Korsikas höchster Erhebung, der Punta della Vacca Morta, so genannt, weil sie aus einem bestimmten Winkel einer toten Kuh ähnelt. Er entschied sich dafür, geradeaus weiterzufahren.
    Dicht hinter Orone kamen die Berge links näher heran, und nach zwei Meilen zweigte die Straße nach Castelblanc ab, nicht mehr als ein Fuhrweg und offenbar eine Sackgasse, da durch das Massiv keine Straße führt. Von der Straße aus sah er den großen, hellgrauen Felsen in der Bergflanke, der früher einmal irgend jemandem den Eindruck vermittelt hatte, auf eine weiße Burg zu blicken. Ein Irrtum, dem der Weiler seinen alten Namen verdankte. Quinn fuhr langsam aufwärts. Nach weiteren drei Meilen, hoch über der D 59, erreichte er Castelblanc.
    Die Zufahrt endete auf dem Dorfplatz, der am Ende des Dorfes lag und an den Berg grenzte. Die schmale Straße zu dem Platz war von niedrigen, steinernen Häusern flankiert, an denen Türen und Fensterläden geschlossen waren. Keine Hühner scharrten im Staub. Auf den kleinen Veranden saßen keine

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