Der Unterhändler
dem alten Gefängnisfort Chateau d’If, nur eine halbe Kabellänge weit weg.
Eine Viertelstunde später ließ die Fähre das Kap Croisette hinter sich und wurde von der Dunkelheit und der offenen See aufgesogen. Quinn ging ins Restaurant zum Abendessen, kehrte dann in seine Kabine auf dem D -Deck zurück und legte sich vor 23 Uhr aufs Ohr. Den Wecker neben dem Bett hatte er auf 6 gestellt.
Ungefähr zur selben Stunde saß Sam mit ihren Betreuern in einem kleinen, abgelegenen ehemaligen Bauernhaus hoch in den Hügeln über Estepona. Keiner von ihnen wohnte hier; das Haus diente als Lager oder hin und wieder als Unterschlupf, wenn einer ihrer Freunde von zudringlichen, Haftbefehle zwecks Auslieferung schwenkenden Kriminalbeamten unbehelligt bleiben sollte.
Zu fünft sagen sie in einem Raum, an dessen Fenstern die Läden geschlossen waren. Im blauen Zigarettenqualm spielten sie Poker. Es war Ronnies Vorschlag gewesen. Sie pokerten schon seit drei Stunden; alle bis auf Ronnie und Sam waren aus dem Spiel ausgeschieden. Tel spielte nicht mit; er servierte Bier, trank selbst aus der Flasche, aus einem reichlichen Vorrat in den Kisten, die längs einer Wand standen. Auch die anderen Winde waren durch Stapel verstellt, aber mit Ballen von Blättern einer exotischen Pflanze, frisch aus Marokko eingetroffen und für den Export in Länder bestimmt, die weiter nördlich lagen.
Arfur und Bernie waren geschröpft worden und schauten verdrossen den beiden letzten Spielern am Tisch zu. Der Topf voller 1000-Scheine in der Mitte des Tisches enthielt alles, was sie mitgebracht hatten, und dazu die Hälfte dessen, was Ronnie hatte und die Hälfte von Sams Dollars, eingetauscht zum neuesten Wechselkurs.
Sam beäugte Ronnies verbliebenes Kapital, schob die meisten ihrer eigenen Scheine in die Mitte und steigerte den Einsatz. Er grinste, zog nach und wollte ihre Karten sehen. Sie drehte vier ihrer Karten um. Zwei Könige, zwei Zehner. Ronnie feixte und zeigte, was er in der Hand hatte: Full House – drei Damen und zwei Buben. Er griff nach dem Haufen, der sein ganzes Geld und alles, was Bernie und Arfur mitgebracht hatten, sowie neun Zehntel von Sams tausend Dollar enthielt. Sam drehte ihre fünfte Karte um. Der dritte König.
»Verdammter Mist«, sagte er und lehnte sich zurück. Sam schob die Geldscheine zusammen.
»Das kann man wohl sagen«, sagte Bernie.
»Sag mal, wovon lebst du eigentlich, Sam?« fragte Arfur.
»Hat Quinn euch das nicht gesagt?« fragte sie. »Ich bin eine FBI -Einsatzagentin.«
»Schau einer an!« sagte Ronnie.
»Lecker«, sagte Tel.
Die Napoleon legte Punkt 7 Uhr in der Gare Maritime von Ajaccio an, in der Mitte zwischen den Anlegestellen Capucins und Citadelle. Zehn Minuten später fuhr Quinn zusammen mit den paar anderen Fahrzeugen aus dem Laderaum heraus und über die Rampe hinab in die alte Hauptstadt dieser wildromantischen, verschwiegenen Insel.
Seiner Karte war klar zu entnehmen gewesen, welche Route er einschlagen sollte: in südlicher Richtung aus der Stadt hinaus, auf dem Boulevard Sampiero zum Flughafen und dort auf die N 196 in die Berge abbiegen. Zehn Minuten nach der Abzweigung begann das Terrain anzusteigen, wie überall auf Korsika, das fast ganz mit Bergen bedeckt ist. Die Straße zog sich in Kurven und Serpentinen an Cauro vorbei zum Col St. Georges hinauf, wo Quinn eine Sekunde lang hinunter auf die schmale Küstenebene weit hinter und tief unter ihm hinabblicken konnte. Dann umschlossen ihn wieder die Berge, schwindelerregende Steilhänge und Felswände. Nach Bicchisano wand sich die Straße wieder abwärts, zurück zur Küste bei Propriano. Es gab keine Möglichkeit, die windungsreiche Straße zum Ospedale zu vermeiden – eine direkte Verbindung hätte das Tal des Baraci überqueren müssen, eine wild zerklüftete Region, die Straßenbauer nicht zu erschließen vermochten.
Nach Propriano blieb er wieder ein paar Meilen in der Küstenebene, bis ihm die D 268 die Möglichkeit bot, in Richtung auf die Berge des Ospedale abzubiegen. Er hatte nun die N -(National-)Straßen hinter sich gelassen und fuhr auf D -(Departements-)Straßen, nicht viel mehr als schmale Sträßchen, aber breite Autobahnen im Vergleich zu den Wegen später, hoch oben im Gebirge. Die D 268 folgte der nördlichen Flanke des Fiumicicoli, bereits unsichtbar tief unten rechts von ihm.
Er kam durch winzige Dörfer mit Häusern aus grauem Kieselsandstein, auf Hügeln und über steilen Abbrüchen erbaut, mit
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