Der Unterhändler
mit verschiedenen Flügen nach Belgrad. Sie kamen mit Linienmaschinen aus Paris, Rom, Wien, London und Frankfurt. Da sie alle amerikanische Staatsbürger waren, hatte auch keiner von ihnen ein Visum für eine dieser Städte gebraucht. Alle fünf beantragten und erhielten in Belgrad eine Einreisegenehmigung für einen einwöchigen Aufenthalt als Touristen, der eine am Vormittag, zwei zur Mittagszeit und zwei am Nachmittag. Alle fünf erklärten dem Beamten der Paßkontrolle, sie hätten vor, Wildschweine und Hirsche zu jagen und in dem berühmten Jagdhaus Karadjordjevo zu wohnen, einer umgebauten Festung an der Donau, die von wohlhabenden Westlern geschätzt wurde und auch einmal den amerikanischen Vizepräsidenten George Bush beherbergt hatte. Die erste Nacht, so erklärten sie dem Beamten, würden sie in dem Super-Luxushotel Petrovaradin in Novi Sad, achtzig Kilometer nordwestlich von Belgrad, verbringen. Und jeder fuhr mit einem Taxi zum Hotel.
Die Beamten der Paßkontrolle hatten mittags Schichtwechsel, und deshalb kam nur einer der Amerikaner unter die Augen von Offizier Pavlic, der, wie es der Zufall wollte, auf der Gehaltsliste des sowjetischen KGB stand. Zwei Stunden nachdem Pavlic seinen Dienst beendet hatte, landete ein Routinebericht von ihm auf dem Schreibtisch des sowjetischen Rezidenten in dessen Büro im Zentrum von Belgrad.
Pavel Kerkorjan war nicht in bester Verfassung; er hatte eine lange Nacht – nicht unbedingt im Dienst, aber seine Frau war dick und jammerte ständig, und er fand manche dieser flachsblonden bosnischen Mädchen unwiderstehlich – und ein schweres Mittagessen hinter sich, letzteres absolut dienstlich, mit einem Angehörigen des Jugoslawischen Zentralkomitees, den er anwerben wollte. Er hätte deshalb beinahe Pavlics Bericht ungelesen zur Seite gelegt. Amerikaner strömten heutzutage in hellen Scharen nach Jugoslawien; es wäre unmöglich gewesen, sie alle zu kontrollieren. Aber der Name machte ihn stutzig. Nicht der Nachname, der war ja ganz alltäglich – aber wo war ihm schon einmal der Vorname »Cyrus« untergekommen?
Er fand ihn eine Stunde später, in seinem Büro; in einer alten Nummer der Zeitschrift Forbes stand ein Artikel über Cyrus V . Miller. Solche Zufälle entscheiden manchmal über ein Schicksal. Die Sache war irgendwie nicht plausibel, und der drahtige armenische KGB -Major hatte es gern, wenn die Dinge plausibel waren. Wieso kam ein fast achtzigjähriger Amerikaner, der als Kommunistenfresser bekannt war, mit einer Linienmaschine zur Wildschweinjagd nach Jugoslawien, wo er doch reich genug war, um in Nordamerika zu jagen, was sein Herz begehrte, und mit seinem Privat-Jet zu reisen? Er ließ zwei seiner Mitarbeiter kommen, junge Kerle, frisch aus Moskau, und hoffte, daß sie sich nicht allzu dumm anstellen würden. (Gutes Personal war ja kaum noch zu kriegen, wie er neulich auf einer Cocktailparty zu seinem Gegenspieler von der CIA gesagt hatte. Der CIA -Mann hatte ihm lauthals zugestimmt.)
Kerkorjans junge Agenten sprachen Serbokroatisch, aber er riet ihnen trotzdem, sich ganz auf ihren Fahrer zu verlassen, einen Jugoslawen, der sich auskannte. Sie meldeten sich am Abend aus einer Telefonzelle im Hotel Petrovaradin, was den Major Gift und Galle spucken ließ, weil die Jugoslawen das Gespräch mit Sicherheit abhörten. Er befahl ihnen, von woanders anzurufen.
Er wollte gerade nach Hause gehen, als sie sich wieder meldeten, diesmal aus einem kleinen Lokal in der Nähe von Novi Sad. Der Amerikaner sei nicht allein, sondern habe noch vier Reisegefährten, sagten sie. Sie hätten sich möglicherweise erst im Hotel getroffen, kannten sich aber offenbar. Am Empfang hätten ein paar Scheine den Besitzer gewechselt, und sie hätten Kopien der ersten drei Seiten der Pässe aller fünf Amerikaner. Diese würden am Morgen von einem Kleinbus abgeholt und zu irgendeinem Jagdhaus gebracht werden, sagten die Schnüffler, und wollten wissen, was sie jetzt tun sollten.
»Dortbleiben«, sagte Kerkorjan. »Ja, die ganze Nacht. Ich will wissen, wohin sie fahren und mit wem sie sich treffen.«
Geschieht ihnen recht, dachte er auf dem Heimweg. Diese jungen Leute hatten es viel zu leicht heutzutage. Wahrscheinlich steckte ja nichts dahinter, aber die Grünschnäbel konnten wenigstens Erfahrungen sammeln. Tags darauf gegen Mittag waren sie wieder da, müde und unrasiert, aber triumphierend. Kerkorjan traute seinen Ohren nicht. Der Kleinbus war pünktlich vorgefahren, und die
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