Der Unterhändler
öffentliche Meinung in Amerika immer noch umschlagen und damit den Kongreß veranlassen konnte, den Nantucket-Vertrag abzulehnen und auf Bau und Einsatz des (für Rußland) verheerenden »Stealth«-Bombers zu bestehen.
Er persönlich hatte nicht sonderlich viel Verständnis für Juden, die dem Mutterland, dem sie alles verdankten, den Rücken kehren wollten. Was die Einstellung zu Schuften und Dissidenten anging, war Michail Gorbatschow ein Russe wie jeder andere. Aber was ihn aufbrachte, war, daß die jüngsten Ereignisse kein Zufall, sondern absichtlich herbeigeführt worden waren, und er wußte auch, wer dahintersteckte. Er dachte immer noch mit Abscheu an das diffamierende Videoband vom Londoner Einkaufsbummel seiner Frau vor etlichen Jahren, das in Moskau herumgereicht worden war. Er wußte auch, wer da dahintergesteckt hatte. Dieselben Leute. Der Vorgänger des Mannes, den er zu sich bestellt hatte und auf den er jetzt wartete.
Es klopfte an der Tür rechts von dem Bücherregal am anderen Ende des Raums. Sein Privatsekretär steckte den Kopf herein und nickte nur. Gorbatschow hob eine Hand: »Moment noch.«
Er ging an seinen Schreibtisch zurück und setzte sich hinter die schlichte, fast leere Platte mit den drei Telefonen und der cremefarbenen Schreibgarnitur aus Onyx. Dann nickte er. Der Sekretär öffnete schwungvoll die Tür.
»Der Genosse Vorsitzende, Genosse Generalsekretär«, meldete der junge Mann und zog sich zurück.
Er war in voller Uniform – wie auch anders –, und Gorbatschow ließ ihn durch den ganzen Raum gehen, ohne ihn zu begrüßen. Dann erhob er sich und zeigte auf die ausgebreiteten Blätter.
General Wladimir Krjutschkow, Chef des KGB , war enger Freund, Schützling und Gesinnungsgenosse seines eigenen Vorgängers, des eingefleischten Konservativen Viktor Tschebrikow. Der Generalsekretär hatte im Rahmen seiner großen Säuberungsaktion im Herbst 1988 für Tschebrikows Entlassung gesorgt und sich damit seines letzten mächtigen Gegners im Politbüro entledigt. Aber er hatte keine andere Wahl gehabt, als den Ersten Stellvertretenden Vorsitzenden (Krjutschkow) zum Nachfolger zu ernennen. Ein Rausschmiß war genug; zwei wären ein Massaker gewesen. Alles hat seine Grenzen, sogar in Moskau.
Krjutschkow sah sich die Blätter an und zog eine Augenbraue hoch. Mistkerl, dachte Gorbatschow.
»Es wäre nicht nötig gewesen, sie vor laufenden Kameras derart zusammenzuschlagen«, sagte Gorbatschow, wie immer ohne Umschweife zur Sache kommend. »Sechs Aufnahmeteams westlicher Fernsehgesellschaften, acht Rundfunkreporter und zwanzig Schreiberlinge von Zeitungen und Zeitschriften, die Hälfte davon Amerikaner. So einen Auftrieb haben wir nicht mal bei der Olympiade achtzig erlebt.«
Krjutschkow zog wieder eine Augenbraue hoch.
»Die Juden hielten eine illegale Demonstration ab, lieber Michail Sergejewitsch. Ich persönlich war an dem Tag gerade in Urlaub. Aber meine Offiziere im Zweiten Hauptdirektorat haben richtig gehandelt, finde ich. Die Demonstranten haben sich nicht zerstreut, als sie dazu aufgefordert wurden, und meine Männer haben die üblichen Methoden angewandt.«
»Es war auf der Straße. Da ist die Miliz zuständig.«
»Es handelt sich um Subversive. Sie haben antisowjetische Propaganda verteilt. Sehen Sie sich bloß die Plakate an. Dafür ist der KGB zuständig.«
»Und der Massenauftrieb ausländischer Presse?«
Der KGB -Chef zuckte die Achseln.
»Die wieseln doch überall herum.«
Ja, vor allem, wenn sie einen telefonischen Tip bekommen, dachte Gorbatschow. Er fragte sich, ob er das zum Vorwand nehmen konnte, sich Krjutschkow vom Hals zu schaffen, ließ den Gedanken aber gleich wieder fallen. Um den Vorsitzenden des KGB zu entlassen, hätte er das ganze Politbüro gebraucht, und daß ein Haufen Juden verprügelt worden war, hätte als Anlaß nicht ausgereicht. Dennoch, er war wütend, und er war entschlossen, seine Meinung zu sagen. Er tat es fünf Minuten lang. Krjutschkow schwieg, aber sein Mund verhärtete sich. Er fand es unerträglich, daß der jüngere, aber ranghöhere Mann ihn wie einen Schuljungen abkanzelte. Gorbatschow war hinter seinem Schreibtisch hervorgekommen; die beiden Männer waren gleich groß – klein und untersetzt. Gorbatschow sah, wie es seine Art war, dem anderen unerschrocken in die Augen. In diesem Moment machte Krjutschkow einen Fehler.
Er hatte in seiner Aktenmappe einen Bericht vom KGB -Mann in Belgrad sowie frappierende
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