Der Unterhändler
schloß das Tor hinter dem Wagen, nahm das Vorhängeschloß an sich und brachte die verrostete Kette des Farmers wieder an. Sie war durchgesägt worden, hing aber nun scheinbar wieder ganz normal an dem Torpfosten. Die Reifen des Volvos hatten in der aufgeweichten Erde Spuren hinterlassen, aber das war unvermeidlich. Es waren Standardreifen, und sie würden schon bald ausgewechselt werden. Der Schütze nahm vorne neben dem Fahrer Platz, und der Volvo fuhr in nördlicher Richtung davon. Es war 7.22 Uhr. Der ACC sagte gerade »Mein Gott«.
Die Kidnapper fuhren in nordwestlicher Richtung durch das Dorf Islip auf die schnurgerade A 421, indem sie scharf rechts in Richtung Bicester abbogen. Sie fuhren mit gleichbleibender Geschwindigkeit durch dieses hübsche Marktstädtchen im Nordosten von Oxfordshire und blieben bis Buckingham auf der A 421. Kurz hinter Bicester tauchte hinter ihnen ein großer Range Rover der Polizei auf. Einer der Männer auf dem Rücksitz stieß einen leisen Warnruf aus und wollte nach der Maschinenpistole greifen. Der Fahrer wies ihn sofort zurecht und fuhr mit erlaubter Geschwindigkeit weiter. Hundert Yards weiter stand am Straßenrand ein Schild mit der Aufschrift »Welcome to Buckinghamshire«. Die Grafschaftsgrenze. Auf der Höhe des Schildes bremste der Range Rover ab und stellte sich quer auf die Straße; die Polizisten begannen, eiserne Straßensperren auszuladen. Der Volvo fuhr unbehelligt weiter und verschwand. Es war 8.05 Uhr. In London nahm Sir Harry Marriott den Hörer ab, um Downing Street anzurufen.
Die britische Premierministerin besitzt sehr viel menschliche Wärme, viel mehr als ihre fünf unmittelbaren männlichen Vorgänger. Sie ist zwar mehr als jeder von ihnen in der Lage, auch unter stärkstem Druck einen kühlen Kopf zu behalten, aber keineswegs gegen Tränen gefeit. Sir Harry sollte später seiner Frau erzählen, daß sie, als er ihr die Nachricht überbrachte, feuchte Augen bekommen, die Hände vors Gesicht geschlagen und leise gesagt hatte: »Oh, mein Gott. Der arme Mann.«
»Da standen wir«, fuhr Sir Harry fort, »und konnten uns beide ausrechnen, daß sich das zu unserer schlimmsten Krise mit den Yankees seit Suez auswachsen wird, und ihr erster Gedanke galt dem Vater. Nicht dem Sohn, wohlgemerkt, dem Vater.«
Sir Harry hatte keine Kinder und war im Januar 1982 noch nicht im Amt gewesen, hatte also, im Gegensatz zu dem inzwischen in den Ruhestand getretenen Kabinettssekretär Sir Robert Armstrong, der nicht überrascht gewesen wäre, nicht miterlebt, wie Margaret Thatcher um ihren Sohn Mark gebangt hatte, als dieser bei der Rallye Paris – Dakar in der algerischen Wüste verschollen gewesen war. Damals hatte sie im Schutze der Nacht geweint, aus jenem reinen und ganz besonderen Schmerz, den eine Mutter oder ein Vater fühlt, wenn das eigene Kind in Gefahr ist. Mark Thatcher war nach sechs Tagen von einem Suchtrupp lebend gefunden worden.
Als sie den Kopf hob, hatte sie sich gefaßt und drückte auf einen Knopf ihrer Sprechanlage.
»Charlie, bitte melden Sie ein persönliches Gespräch mit Präsident Cormack an. Von mir. Sagen Sie dem Weißen Haus, daß es dringend ist und keinen Aufschub duldet. Ja, natürlich weiß ich, wie spät es jetzt in Washington ist.«
»Vielleicht könnte man den amerikanischen Botschafter …«, ließ sich Sir Harry Marriott vernehmen, »über den Außenminister … ich meine …«
»Nein, ich mache das selbst«, beharrte die Premierministerin. »Würden Sie bitte den COBRA einberufen, Harry. Berichterstattung zu jeder vollen Stunde, bitte.«
Es ist nichts besonders Aufregendes am sogenannten Heißen Draht zwischen Downing Street und dem Weißen Haus. Es handelt sich dabei lediglich um eine Direktverbindung über Satellit, allerdings mit Scramblern an beiden Enden, die absolute Geheimhaltung gewährleisten. Normalerweise dauert es etwa fünf Minuten, bis ein Gespräch über den Heißen Draht zustande kommt. Margaret Thatcher schob ihre Akten zur Seite, sah durch die kugelsicheren Fensterscheiben ihres Privatbüros hinaus und wartete.
Die Shotover Plain wimmelte vor Betriebsamkeit. Die zwei Männer aus dem Streifenwagen Delta Bravo verstanden ihr Handwerk gut genug, um jeden vom Schauplatz des Überfalls fernzuhalten und selbst äußerst vorsichtig zu gehen, auch als sie die drei Männer auf irgendwelche Lebenszeichen untersuchten. Als sie keine feststellten, ließen sie sie liegen. Nur allzu oft sind die polizeilichen
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