Der Untoten Zaehmung
Szene)
W ill erwachte. Sofort überfluteten Worte seinen Ver stand wie Regen.
»Der Liebe heil’ge Glut«, murmelte er. »Für alle Zeiten wundersam erhitzt, um … «
Um was?
Will schloss die Augen und nahm einen Duft wahr, den von …
»Rosen.« Seine Augen öffneten sich wieder, und er runzelte die Stirn. Zwei verschiedene Sonette. Er spürte, wie sie am Rande seines Bewusstseins schwebten. Eines über …
»Diana und … « Er biss sich auf die Lippe. »Cupido. Ja. Cupido ließ, als er entschlummert war, die Liebesfackel sinken. Und so fand sie eine aus Dianens Nymphenschar.«
Seine Finger sehnten sich so sehr nach einem Federkiel, dass er sich sehr stark konzentrieren musste, um sich zu beruhigen. Wieder roch er den Duft. »Die Ros’ ist lieblich, aber lieblicher macht sie der Wohlgeruch, der in ihr lebt.«
Wills Hände verkrampften sich. Er hatte so viele Worte in seinem Kopf, dass er an nichts anderes denken konnte.
Er setzte sich auf und stieß sich den Kopf an etwas Hartem über ihm. Ein loses Brett klapperte. Dann kehrte die Erinnerung zurück und vertrieb die Worte. Sie strömten davon, um vielleicht niemals wiederzukehren, und bevor er sich zurückhalten konnte, stöhnte er laut auf und sank wieder in eine liegende Position.
Wo waren diese Worte hergekommen? Sein Schlaf war der Tod, und die Toten träumten nicht. Und doch war er mit solch starken Bildern im Kopf aufgewacht, dass er an nichts anderes denken konnte als daran, wie er sie auf einem Blatt Papier zum Leben erwecken könnte.
Um ihn herum war alles voller Schatten, und Will wurde klar, dass er sehr lange geschlafen haben musste. Man würde ihn bereits im Rose erwarten.
Meistens erwachte er, wenn die Sonne ihren Zenit überschritten hatte. In seinem hohen Alter bedeutete nur noch die Morgensonne den Tod für ihn. Er konnte nachmittags schon wieder hinausgehen, wenn er direktes Sonnenlicht mied. Das war einer der Gründe, warum er England so sehr liebte: Die vielen dunstigen, kühlen Regentage und der wolkenverhangene, graue Himmel gestatteten es ihm, sich relativ frei zu bewegen.
Will musste äußerst erschöpft gewesen sein, um so lange zu schlafen. Von einem Dutzend Zombies gejagt zu werden würde jeden Mann auslaugen – auch wenn er kein Mann mehr war.
Will hätte sich fast erneut aufgesetzt. Die Zombies! Waren sie immer noch hier? Er glaubte es nicht. Sie waren dumm, aber sie waren nicht taub. Und er war keineswegs still gewesen, sondern hatte Sonette vor sich hin gemurmelt und sich in seinem Versteck den Kopf gestoßen. Wenn die lebenden Toten noch dort gewesen wären, hätten sie bereits den Boden aufgerissen.
Vorsichtig spähte Will hinaus und bekam sofort eine Ladung Asche ins Gesicht.
Er schob das Brett beiseite und kletterte aus seinem Versteck. Dann sah er sich in der leeren Hütte um.
Jemand war fleißig gewesen.
In Anbetracht des Rosenduftes, der immer noch in der Luft hing, wusste er auch, wer dieser jemand war.
»Sie hat Euch gerettet.«
Will zuckte so heftig zusammen, dass er fast wieder rückwärts in das Loch gefallen wäre. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er die Frau in der Ecke an. War sie eben auch schon da gewesen?
Sie war groß und wirkte hoheitsvoll. Ihre Haut glänzte so schwarz wie der Nachthimmel, und sie trug seltsame Kleidung. Um ihren Körper und ihren Kopf hatte sie bunte Tücher gewickelt. Ihre Augen glänzten im Mondlicht, und doch waren sie so schwarz wie die Asche, die überall auf dem Boden lag.
»Madam.« Will neigte den Kopf. »Kann ich Euch helfen?«
In ihrem dunklen Gesicht blitzten weiße Zähne auf. »Ich bin es, die Euch helfen wird.«
Sie hatte einen seltsamen Akzent, den er noch niemals zuvor gehört hatte. Und in Anbetracht der unglaublichen Länge seines Lebens war das erstaunlich. Französisch , dachte er, aber noch etwas anderes. Etwas, das er nicht genau benennen konnte. Es verlieh ihrer Stimme eine Melodie, die ihn an Ebbe und Flut erinnerte.
»Auf welche Weise werdet Ihr mir helfen?« Will erwähnte natürlich nicht die Asche, die überall in der Hütte verteilt lag – die Asche der Zombies. Es machte ihm nichts aus, als exzentrisches Genie betrachtet zu werden, aber er legte keinen großen Wert darauf, in Bedlam eingesperrt zu werden.
»Ihr könnt sie nicht allein bekämpfen.«
Ein Schauder lief ihm über den Rücken. »Wen?«
Wieder blitzten ihre Zähne auf. Sie beugte sich vor und hob eine Handvoll Asche auf. Dann ließ sie sie durch ihre Finger rieseln.
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