Der Untoten Zaehmung
rühren, sie sanft Euch auf die zarte Seite legen; zu ew’gem Frieden küss ich diese Finger. Wer seid Ihr? Sagt’s, dass ich Euch ehren möge.«
»Margaret heiß’ ich, eines Königs Tochter.«
Beim ersten Wort blieb Wills Herz fast stehen. Zumindest wäre es das, wenn sein Herz immer noch geschlagen hätte. Anstelle von Thaddeus Comstock, einem Knaben von vierzehn Jahren, der die Stimme eines Engels besaß, stand dort Kate.
Schweigen breitete sich aus. Kate hatte ihren Text beendet und wartete nun wie alle anderen darauf, dass Will fortfuhr.
»Ein Graf bin ich, und Suffolk ist mein Name. Seid nicht beleidigt, Wunder der Natur … « Will war in der Lage, seine Zeilen zu sprechen und sich entsprechend über die Bühne zu bewegen, fragte sich aber unentwegt, warum Kate hier war und nicht Thaddeus.
»Die Pest«, flüsterte Kate, als er in ihre Nähe kam. »Der Knabe ist geflohen.«
Sackerlot! Wenn das so weiterging, würde Will das Rose selbst schließen müssen; dann brauchte er nicht mehr auf die Befehle der Königin zu warten.
Kate starrte ihn erwartungsvoll an.
»Oh!« Sein Text! Wie lautete er?
»Ein Pfand?«, murmelte Kate, und sofort wusste er wieder, an welcher Stelle des Stücks sie sich befanden. Woher kannte Kate den Text nur so gut?
»Bescheidne Wort’ und anmutsvoll gestellt!« Er ging nah an sie heran, näher als stattlich war. Aber nah genug, damit Suffolk, und mit ihm Will Shakespeare, ihre Wärme spüren und den Rosenduft ihres Haares riechen konnte. »Doch, Madam, nochmals muss ich Euch beschweren; kein Liebespfand für Seine Majestät?«
Margaret – Ach , dachte Will, es ist Kate, aber sie benimmt sich so, wie Prinzessin Margaret es tun würde – trat einen Schritt zurück und neigte den Kopf. »Ja, bester Herr; ein unbeflecktes Herz, von Liebe nie gerührt, send’ ich dem König.«
Wie Suffolk es tun würde und wahrscheinlich auch getan hatte, folgte Will Margaret – Kate – Schritt für Schritt über die Bühne, um schließlich seine Arme um sie zu legen. »Und dies zugleich«, sagte er, dann küsste er sie.
Und plötzlich waren es nicht mehr Suffolk und Margaret auf der Bühne, sondern Will und Kate. Ah, Will und die süße Kate.
Sie schmeckte wie heißer Rotwein in einer langen Dezembernacht. Er ergriff Besitz von ihrem Mund, drang tiefer und immer tiefer vor, forschte, schmeckte.
Ihr Atem war berauschend, ihre Haut so weich. Das Flattern ihrer Wimpern sandte eine Frühlingsbrise über seine Wangen.
Sie schmiegte sich an ihn, und ihre Finger griffen tiefer in das grobe Wams, das er trug. Ihre Reaktion zog eine Antwort von ihm nach sich. Solche Hitze hatte er nicht mehr verspürt, seit er im Fieberwahn zum Untoten gemacht worden war.
Ihre Brüste drängten sich gegen seine Brust. Sie waren so rund, so verführerisch. Seine Hand glitt von ihrer Taille aufwärts, bis jemand im Publikum hustete.
Will ließ von ihr ab, als ob sie ein Topf wäre, der plötzlich überkochte. Kein Wunder, dass die Leute ihn für einen Sodomiten hielten. Solch ein Kuss mit einem Knaben …
Diesen Ruf würde er niemals wieder loswerden!
»Zeile!«, flüsterte jemand von der Seite.
War es seine oder ihre Zeile? Er hatte keine Ahnung. Glücklicherweise war Kate nicht so ahnungslos.
»Das für Euch selbst; ich will mich nicht erdreisten, solch kindisch Pfand zu senden einem König.«
Und damit rauschte sie am Arm von Marcus Abbott davon, der ihren Vater Reignier spielte. Will hatte nicht mal bemerkt, dass er ebenfalls auf der Bühne stand, obwohl er vor nicht einmal fünf Minuten einen Dialog mit ihm gehabt hatte.
Wer hätte gedacht, dass es eine gute Idee wäre, eine Frau anstelle eines Knaben einzusetzen? Für solch eine Unverfrorenheit konnte das Rose geschlossen werden!
Nein, niemand würde Kate für eine Frau halten. Nur Will wusste es, und es musste sein Geheimnis bleiben. Selbst wenn das bedeutete, dass ihn die anderen deswegen für einen Liebhaber von Männern hielten.
Es wäre nicht das erste Mal.
15
»Die Not bringt einen zu seltsamen Bettgesellen.«
Der Sturm (2. Akt, 2. Szene)
M ein Herz hatte vor Aufregung, auf die Bühne zu gehen, ohnehin schon viel zu schnell geschlagen. Aber nach diesem Kuss hatte ich das Gefühl, in Ohnmacht fallen zu müssen.
Doch das tat ich nicht. Niemals. Ich war ein Chasseur und hatte mit meiner Zeit Besseres anzufangen.
Dennoch war ich dankbar für Mr Abbotts Arm. Ich hoffte, dass er mich immer noch für einen Knaben hielt, der Margaret, die
Weitere Kostenlose Bücher