Der Ursprung des Bösen
schräge Hafenrampe hinunter.
»Was für Verbindungen?«
»He, he, immer mit der Ruhe. Ich kenne da jemanden, sonst nichts. Er heißt Claude und lebt nicht mehr auf der Straße, weil er Arbeit gefunden hat.«
»Ist er jetzt Bulle?«
Shampoo machte sich los, kroch der Weinflasche auf allen vieren nach und erwischte sie gerade noch, ehe sie von den Wellen verschluckt wurde.
»Sozusagen«, antwortete er, als er zurückkehrte. »Er arbeitet im Leichenschauhaus von La Timone. Fährt die Leichen hin und her. Das alles habe ich von ihm. Er hat gehört, wie die Bullen … Was ist los?«
Janusz war aufgestanden.
»Da gehen wir jetzt hin.«
C laude sah aus wie »Das Ding«, der Steinkoloss Ben Grimm aus Fantastic Four .
Kahlköpfig, vierschrötig und wortkarg stand er in einem weißen Kittel auf dem leeren Parkplatz des Leichenschauhauses und rauchte eine Zigarette.
Janusz und Shampoo waren völlig außer Atem. Sie hatten in aller Eile das Gelände des Krankenhauses La Timone durchquert und waren die Treppe zum Leichenschauhaus hinaufgestürmt. Da inzwischen die Sonne wieder hervorgekommen war, floss ihr Schweiß in Strömen.
Das Gebäude war flach und eingeschossig. Sein Eingang erinnerte durch die hochgezogenen Ecken entfernt an eine japanische Pagode. Der Eindruck wurde durch bambusartige Grünpflanzen noch verstärkt. Unsichtbare Vögel piepsten wie in einem Zen-Garten.
»Hallo, Claude.«
»Was willst du?«, knurrte der Angesprochene wenig begeistert.
»Dir Jeannot vorstellen. Er hat ein paar Fragen an dich.«
Claude musterte Janusz. Der Koloss maß sicher mehr als eins neunzig und wirkte wie ein massiver Fels. Zigarettenrauch quoll aus seinen Nasenlöchern.
»Fragen worüber?«
Janusz trat einen Schritt vor.
»Frag mich lieber, wie viel ich dir zahle.«
Der steinerne Mund verzog sich zu einem Grinsen. Mit seinen dicken Lippen sah er aus, als schmolle er.
»Das hängt doch wohl davon ab, was ich zu verkaufen habe.«
»Ich will alles erfahren, was du über die Leiche des Vogelmenschen weißt, die man in der Felsbucht von Sormiou gefunden hat.«
Claude betrachtete die Spitze seiner Zigarette. Sein schmollender Ausdruck verstärkte sich.
»Zu teuer für dich, Kleiner.«
»Hundert Euro.«
»Zweihundert.«
»Hundertfünfzig.«
Janusz wühlte in seinen Taschen und legte Scheine in die riesige Pranke. Er hatte keine Zeit für längeres Feilschen. Angesichts der Banknoten fielen Shampoo fast die Augen aus dem Kopf. Der Koloss steckte das Geld ein.
»Die Leiche wurde Mitte Dezember in der Felsbucht von Sormiou gefunden.«
»An welchem Tag genau?«
»Da musst du die Bullen fragen.«
»Wie war der Name des Opfers?«
»Irgendwas Östliches. Tzevan soundso. Ein Aussteiger, ungefähr zwanzig, der seit einigen Monaten durch Marseille streunte. Er konnte über seine Fingerabdrücke identifiziert werden, weil er vorher mal Ärger mit den Bullen hatte.«
Fingerabdrücke? Janusz hakte nach.
»Ich dachte, die Leiche wäre verbrannt?«
»Nicht so sehr, dass man keine Fingerabdrücke mehr hätte abnehmen können.«
»Wo lag die Leiche genau?«
»An der äußersten Landspitze der Bucht, genau gegenüber der Insel Casereigne.«
»Wie wurde sie gefunden?«
»Durch Zufall von Wanderern. Der Kerl war nackt, angekokelt und hatte Flügel auf dem Rücken. In der Zeitung stand, dass er ertrunken und von der Strömung an Land geschwemmt worden wäre. Aber das ist Quatsch. Der Junge hatte keinen Tropfen Wasser in der Lunge.«
»Warst du bei der Obduktion dabei?«
»Das ist nicht mein Job, aber ich habe gehört, wie der Gerichtsmediziner sich mit den Bullen unterhielt.«
»Aber woran ist der Typ dann gestorben?«
»Alles habe ich nicht mitgekriegt, aber irgendwann fiel das Wort Überdosis.«
Auch das wies auf eine Verbindung zu dem Mord in Bordeaux hin. Es war sozusagen die Signatur des Mörders. Ikarus. Minotaurus. Ob es in Frankreich wohl noch mehr mythologische Morde gab?
»Warum war die Leiche verbrannt?«
»Falls du den Mörder mal triffst, kannst du ihn ja fragen.«
»Wie sahen die Flügel aus?«
Claude zündete sich mit der alten Kippe eine neue Zigarette an. Seinen Hals zierten Maori-Tattoos in Schlangenform.
»Ich habe sie nicht gesehen. Sie landeten sofort bei der Spurensicherung.«
»Shampoo hat mir etwas von Drachenflügeln erzählt.«
»Richtig. Sie hatten an die drei Meter Spannweite. Es war ziemlich verrückt. Sie waren an die Haut des Jungen genäht.«
Janusz stellte sich die nackte,
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