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Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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kaputt geschlagen.«
    Jäh wurde Janusz von einem Krampf geschüttelt. Die Angst machte sich bemerkbar, aber auch ein ähnliches Brennen wie in der vergangenen Nacht. Er fürchtete, erneut Durchfall zu bekommen, und konzentrierte sich mit aller Kraft auf die Zeit, die ihm noch blieb.
    »Warum wollen sie mich töten lassen?«
    »Keine Ahnung.«
    »Haben sie euch meinen Namen gesagt?«
    »Nur dein Bild gezeigt.«
    »Ein Foto?«
    Der Predator lachte, drückte sich ein Nasenloch zu und presste einen Blutstrahl aus dem andern.
    »Kein Foto, Mann. Eine Zeichnung.«
    »Eine Zeichnung?«
    »Klaro.« Der Kerl lachte wieder. »Eine Wahnsinnsskizze.«
    Hatte Daniel Le Guen ihm nicht erzählt, dass er möglicherweise einmal Maler gewesen war? War die Skizze etwa ein signiertes Selbstporträt? Aber wie hätten die Mörder an ein Relikt aus einer seiner früheren Identitäten kommen sollen?
    »Habt ihr das Bild aufgehoben?«, erkundigte er sich.
    »Den Hintern haben wir uns damit abgewischt, Mann.«
    Janusz hätte ihn gern geohrfeigt, doch er hatte keine Kraft mehr. Der Typ hielt sich das andere Nasenloch zu und pustete schwärzliche Klumpen aus, als hätte er sich einen blutigen Schnupfen geholt.
    »Trefft ihr euch noch mal mit den Männern in Schwarz?«
    »Klaro, Mann! Sobald du über den Jordan bist.«
    »Aber dann wisst ihr ja, wo ihr sie findet.«
    »Sie finden uns. Sie sind überall.«
    Janusz zitterte. Der Krampf tief in seinem Magen fühlte sich an wie ein weißglühender Klumpen. Er hob sein Messer. Der Predator machte sich ganz klein. Janusz drehte das Messer um und versetzte dem Kerl einen heftigen Schlag in den Solarplexus. Der Typ regte sich nicht mehr. Vielleicht hatte Janusz ihn auch getötet, aber er bewegte sich längst in einer Welt, wo solche Nuancen nicht mehr zählten.
    Ohne jede Vorsichtsmaßnahme richtete er sich auf. Am liebsten hätte er die zwischen den Graffiti verborgene Tür aufgerissen und geschrien:
    »Bringt mich doch endlich um!«
    Im letzten Augenblick siegte seine Vernunft. Durch Mistral und Benzindünste schwankte er davon. An seinen Beinen klebte fettiges Papier.
    Er war verdammt – darüber gab es keinen Zweifel.
    Doch ehe er starb, wollte er wissen, warum.
    Er würde die Anklageschrift und das Urteil des Richters lesen.

A ls Anaïs erwachte, war sie müder als beim Schlafengehen. Drei Stunden lang hatte sie miserabel geträumt. Vampire in Hugo-Boss-Anzügen beugten sich über die Toten in einer Leichenhalle, schnitten ihnen die Nasen auf und tranken ihr Blut. Der einzige Trost war, dass ihr Vater bei diesem Fest nicht mitgemischt hatte.
    Sie brauchte eine gewisse Zeit, um wieder zu sich zu kommen. Sie befand sich in einem Hotel an der Autobahn. Gegen drei Uhr morgens hatte sie die Leuchtreklame entdeckt und war wie benommen vor Müdigkeit hingefahren. Sie erinnerte sich nicht einmal daran, ob sie das Licht angeknipst hatte. Völlig angekleidet war sie auf das Bett gesunken – um dann in einem verborgenen Winkel ihres Gehirns den Besuch der eleganten Vampire zu erhalten.
    Anaïs ging ins Bad, zog ihren Pulli aus und schaltete das Licht ein. Was sie im Spiegel sah, gefiel ihr: eine durchtrainierte, kompakte junge Frau mit bandagierten Armen im T-Shirt. An ihrer Erscheinung war nichts Weibliches und schon gar keine Koketterie. Die kleine, athletische Figur zeigte zwar gewisse, durchaus weich wirkende Rundungen, doch dieser Eindruck verlor sich, sobald man sie berührte. In ihren Wimpern hingen Tränen, was sie an Tauperlen auf einer Kaolin-Maske denken ließ. Auch dieses Bild gefiel ihr.
    Anaïs entfernte die Bandagen von ihren Armen und musterte den Schaden. Plötzlich überkam sie eine tiefe Traurigkeit, eine Verzweiflung, die sie an die großen schwarzen Flügel des Ikarus erinnerte. Hastig wickelte sie neue Verbände um die Arme.
    Sie kehrte in ihr Zimmer zurück. In einem Federmäppchen, in dem sie ihren Druckbleistift, Filzstifte und anderes Schreibzeug aufbewahrte, hatte sie ihre Tabletten versteckt. Mit der Sicherheit einer jahrelangen Gewohnheit schluckte sie eine halbe Solian und eine Trevilor. Heute muss ich schweres Geschütz auffahren, dachte sie und fügte auch noch eine Lexomil hinzu.
    Es war ihre Schockbehandlung bei depressiven Schüben.
    Sie fand es selbst entwürdigend, aber so war es nun einmal. Nach dem Abitur, im ersten Semester Jura, war sie zusammengebrochen und mehr als zwei Monate fast bewegungsunfähig im Bett geblieben. Damals wusste sie noch nichts über die

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