Der Ursprung des Bösen
in der Nähe von Mont-de-Marsan. Dann gehst du weiter in Richtung Dax.«
Le Coz schrieb immer noch und ärgerte sich über den nässenden Nebel, der seine Schrift verlaufen ließ.
»Dir ist hoffentlich klar, dass ich hier keinen Journalisten sehen will.«
»Wie willst du das denn anstellen?«, mischte sich die Staatsanwältin ein.
Da ihr die Kommunikation mit den Medien oblag, hatte sie insgeheim bereits über den Ablauf ihrer Pressekonferenz nachgedacht und auch schon überlegt, was sie zu diesem Termin anziehen sollte. Anaïs jedoch hatte ihre eigenen Vorstellungen.
»Wir warten erst einmal ab und sagen nichts. Mit ein bisschen Glück ist der Kerl tatsächlich ein Obdachloser.«
»Kapier ich nicht.«
»Dann vermisst ihn niemand, und wir können seinen Tod noch eine Zeitlang verschweigen. Sagen wir vierundzwanzig Stunden. Und selbst dann vergessen wir zunächst einmal die Sache mit dem Stierkopf. Wir erzählen etwas von einem Obdachlosen, der vermutlich an Unterkühlung gestorben ist. Punktum.«
»Und wenn er kein Assi ist?«
»Wir brauchen diese Frist, um in aller Ruhe arbeiten zu können.«
Le Coz verabschiedete sich mit einem Kopfnicken von den beiden Damen und verschwand im Nebel. Zu einem anderen Zeitpunkt und unter anderen Umständen hätte er sicher seinen Charme spielen lassen, aber er hatte begriffen, dass hier und jetzt Not am Mann war. In den kommenden Stunden würden sie alle auf Schlaf, Essen und Familienleben verzichten müssen; nur die Ermittlungen zählten.
Anaïs wandte sich an den Beamten der Schutzpolizei, der im Hintergrund geblieben war, aber genau zugehört hatte.
»Suchen Sie mir bitte den Einsatzleiter der Spurensicherung.«
»Glaubst du, es handelt sich um den Beginn einer Serie?«, fragte Véronique Roy leise.
Ihre Stimme verriet noch immer die gleiche zwiespältige Gemütsregung. Halb Lust, halb Ekel. Anaïs lächelte.
»Dazu kann ich noch nichts sagen, Süße. Wir müssen erst den Obduktionsbericht abwarten. Sobald wir wissen, wie der Mörder vorgegangen ist, können wir uns vielleicht ein Bild von ihm machen. Wir müssen natürlich auch in Erfahrung bringen, ob nicht irgendein Bekloppter kürzlich aus Cadillac ausgebüxt ist.«
Jeder in der Region kannte diesen Namen. Cadillac war eine Klinik für psychisch Kranke, wo gemeingefährliche Irre und Schwerverbrecher in Sicherungsverwahrung lebten – fast schon eine örtliche Sehenswürdigkeit zwischen den Weinbergen und der Düne von Pilat.
»Im Übrigen werde ich mir einmal die nationalen Datenbanken anschauen. Wir müssen wissen, ob es einen Mord dieser Art schon einmal hier im Aquitaine oder irgendwo anders in Frankreich gegeben hat.«
Anaïs saugte sich alles Mögliche aus den Fingern, um ihrer Rivalin zu imponieren. Die einzige nationale Datenbank in Frankreich, die sich mit Verbrechen beschäftigte, war ein von völlig unmotivierten Polizisten aktualisiertes Programm.
Plötzlich zerriss die Nebelwand vor ihnen. Zum Vorschein kam ein Techniker der Spurensicherung, der wie ein Astronaut im Schutzanzug aussah.
»Mein Name ist Abdellatif Dimoun«, stellte die Erscheinung sich vor und streifte die Kapuze ab. »Ich bin der Einsatzleiter der Spurensicherung in diesem Fall.«
»Sie kommen aus Toulouse?«
»Ja, von der Technischen Abteilung 31.«
»Wie konnten Sie so schnell hier sein?«
»Ein reiner Glücksfall, wenn ich mich so ausdrücken darf.«
Der Mann lächelte sie strahlend an. Dank seiner gebräunten Haut wirkte das Weiß seiner Zähne noch leuchtender. Er war etwa dreißig Jahre alt und wirkte auf Anaïs ungestüm und sehr erotisch.
»Wir waren aus einem anderen Grund bereits hier in Bordeaux. Wir untersuchen die Verseuchung des Industriegebiets von Lormont.«
Anaïs hatte davon gehört. Man verdächtigte einen ehemaligen Angestellten einer Chemiefabrik, aus Rache die Produktion sabotiert zu haben. Die Hauptkommissarin und die Staatsanwältin stellten sich nun ebenfalls vor. Der Techniker streifte die Handschuhe ab und schüttelte ihnen die Hand.
»Schon irgendwelche verwertbaren Spuren gefunden?«, erkundigte sich Anaïs in einem bewusst lässigen Tonfall.
»Leider nein. Alles ist klatschnass. Die Leiche dümpelt seit mindestens zehn Stunden sozusagen im eigenen Saft. Bisher war es uns unmöglich, auch nur die kleinste Papillarlinie sicherzustellen.«
»Die kleinste was?«, fragte die Staatsanwältin.
Höchst zufrieden, dass sie mit ihrem Wissen punkten konnte, drehte sich Anaïs zu Véronique Roy
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