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Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Das Bild zeigte gleichzeitig einen Tyrannen und einen Sklaven, einen Beherrscher und einen Beherrschten. Vielleicht war dies das Symbol für sein Schicksal?
    Amsallem versetzte ihm einen freundschaftlichen Klaps auf den Rücken.
    »Du bist ein Genie, mein Junge – keine Frage!«
    »Sagt Ihnen das Wort ›Matrjoschka‹ etwas?«, fragte Narcisse plötzlich.
    »Du meinst die russischen Puppen? Nein. Warum?«
    »Nur so.«
    Amsallem nahm das Bild von der Wand und fragte schmunzelnd im unterwürfigen Tonfall eines Verkäufers:
    »Soll ich es Ihnen ein wenig einschlagen, mein Herr?«

W as war heute mit Narcisse los?«
Philippe Pernathy in seinem grauen Flanellanzug wirkte unruhig. An den weißen Wänden rings um ihn hingen merkwürdige Bilder – eine Art seltsamer Partitionen mit kreisförmigen Notenlinien, Tausenden von Noten und beunruhigenden Gesichtern.
    Anaïs fühlte sich in Topform. Die Amphetamine wirkten noch immer. Nachdem sie Crosnier informiert hatte, war sie auf dem schnellsten Weg zum Flughafen von Nizza gefahren. Der Polizist aus Marseille würde sich um die Morde in der Villa Corto kümmern und war sogar einverstanden gewesen, ihre Anwesenheit am Tatort zu verheimlichen. Sie hatte einen Flug um 10.20 Uhr bekommen. Nach wie vor verfolgte sie die Söldner auf ihrem iPhone. Als sie an Bord der Maschine ging, kamen sie gerade an der Porte de la Chapelle an.
    Eine Stunde später landete sie in Paris. Die Killer hatten inzwischen zwanzig Minuten in der Rue de Turenne verbracht. Anaïs beschloss, einen Wagen zu mieten. Einen Augenblick lang fürchtete sie, dass die junge Dame am Avis-Schalter sich weigern würde, ihr ein Auto zu überlassen. Sie sah zugegebenermaßen ziemlich wüst aus. Aber schließlich konnte sie dann doch ihren Weg in einem Opel Corsa fortsetzen. Sie hatte ein Auto mit Navi genommen, weil sie sich in Paris kaum auskannte.
    Die Männer waren inzwischen von der Rue de Turenne in die Avenue Foch weitergefahren. Offensichtlich folgten sie einem genauen Plan, den Anaïs allerdings noch nicht durchschaute. Sie hoffte nur, dass sie ihren Weg nicht mit Leichen pflastern würden.
    In der Rue de Turenne hatte sie aus einem reinen Bauchgefühl heraus die Galerie aufgesucht. Guter Riecher! Der Mann hatte ihr wertvolle Informationen gegeben. Narcisse war Maler und hatte in der Villa Corto gewohnt. Vor einiger Zeit hatte Pernathy fast alle bekannten Werke des Meisters an Sammler in Paris verkauft. Es waren etwa dreißig zwischen September und Oktober 2009 entstandene Stücke.
    Diese Antworten hatte Anaïs mehr oder weniger erwartet. Ehe der gutaussehende, dunkle Mann zum Psychiater Mathias Freire geworden war, hatte er als obdachloser Victor Janusz und als verrückter Maler Narcisse sein Dasein gefristet.
    Der Galerist hatte ihr Fotos von Narcisses Gemälden gezeigt. Es waren bizarre Selbstdarstellungen, auf denen der Künstler sich in den unterschiedlichsten Kostümen gemalt hatte. Sämtliche Bilder waren in einem rötlichen Grundton gehalten – Anaïs definierte es als Blut – und ließen sowohl eine tiefgründige als auch eine sarkastische Interpretation zu. Sie wirkten wie Hymnen, die von einem falsch spielenden Orchester massakriert wurden.
    »Wer war heute hier, um über Narcisse zu sprechen?«
    »Narcisse selbst.«
    »Um wie viel Uhr?«
    »Gegen elf.«
    Genau die Zeit, in der die Mörder vor der Galerie geparkt hatten. Sie hatte also richtig getippt – sie waren ihrem Opfer wieder auf der Spur und würden Narcisse folgen, bis sie eine Möglichkeit fanden, ihn niederzuschießen. Ihr Herz begann heftig zu klopfen.
    »Was wollte er?«
    »Seine Bilder sehen.«
    »Haben Sie sie ihm gezeigt?«
    »Das war leider nicht möglich. Sie sind alle verkauft. Er hat mich um die Liste der Käufer gebeten.«
    »Und die haben Sie ihm gegeben?«
    »Er war bewaffnet.«
    Anaïs warf einen Blick auf ihr iPhone. Der Q7, der in der Avenue Victor Hugo geparkt hatte, war jetzt in Richtung Trocadéro unterwegs. Sie vermutete, dass Freire dabei war, jeden Käufer aufzusuchen, und dass seine Jäger ihm von einem zum anderen folgten.
    »Ich brauche eine Kopie dieser Liste. Und zwar sofort.«
    »Die Daten sind vertraulich. Ich kann …«
    »Ich rate Ihnen, die Liste auszudrucken, ehe alles noch schlimmer wird. Schlimmer für Sie!«
    Der Galerist ging um seinen Schreibtisch herum, beugte sich über seinen Computer und klickte ein paarmal. Sofort begann der Drucker zu surren. Anaïs konsultierte erneut das Display ihres Handys.

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